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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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wie jetzt.«
    ***
    Ich ging durch die Stadt, bis ich
tod­mü­de war. Ich ging an Na­ta­schas Haus vor­bei, blieb vor ei­ni­gen öf­fent­li­chen
Te­le­fo­nen ste­hen, aber ich rief nicht an. Ich hat­te noch vier­zehn Ta­ge Zeit, dach­te
ich. Das schwers­te war es im­mer, die ers­te Nacht zu über­win­den, weil sie ei­nem
in sol­chen Si­tua­tio­nen na­he am To­de zu lie­gen schi­en. Was woll­te ich denn?
Einen bür­ger­lich rüh­ren­den Ab­schied, mit Küs­sen an der Gang­way ei­nes dre­cki­gen
Schif­fes und dem Ver­spre­chen zu schrei­ben? War es nicht bes­ser so? Wie hat­te
Me­li­kow ge­sagt? Man soll­te kei­ne Er­in­ne­run­gen mit sich her­um­schlep­pen. Sie
wa­ren ein schwe­res Ge­päck, wenn man nicht so alt war, daß sie das ein­zi­ge
wa­ren, was ei­nem blieb. Und wie hat­te ich selbst im­mer ge­dacht? Man soll­te
kei­ne Er­in­ne­run­gen züch­ten, son­dern sie weit da­von weg­hal­ten, daß sie einen
nicht wie Lia­nen im Ur­wald ab­wür­gen konn­ten. Na­ta­scha hat­te ge­tan, was rich­tig
war. Warum tat ich es nicht? Warum lief ich um­her wie ein sen­ti­men­ta­ler Schü­ler,
in die mi­se­ra­blen Fet­zen heu­len­der Sehn­sucht und Feig­heit ge­klei­det, nicht
fä­hig zum einen noch zum an­dern? Ich spür­te die wei­che Nacht, fühl­te die
un­ge­heu­re Stadt und an­statt lo­cker auf dem Le­ben zu sit­zen und sei­nem We­hen zu
fol­gen, irr­te ich wie in ei­nem Spie­gel­ka­bi­nett um­her, nach ei­ner Aus­flucht
su­chend und im­mer nur wie­der mir selbst be­geg­nend. Ich kam bei van Cleef vor­bei
und woll­te nicht hin­ein­se­hen und zwang mich, ste­hen­zu­blei­ben. Ich sah den
Schmuck der to­ten Kai­se­rin in der Ju­ni­nacht und dach­te dar­an, wie Na­ta­scha ihn
ge­tra­gen hat­te – ein ge­lie­he­ner Schmuck mit ei­ner ge­lie­he­nen Frau in ei­nem
Falsch­mün­zer­da­sein. Ich hat­te da­mals die Iro­nie in falscher Be­hag­lich­keit
ge­nos­sen. Jetzt blick­te ich auf das Ge­glit­zer und wuß­te plötz­lich nicht, ob ich
nicht im Be­griff war, einen schwe­ren Irr­tum zu be­ge­hen und einen Rest
flie­gen­den Glücks ge­gen ein Bün­del ver­staub­ter und lä­cher­li­cher Vor­ur­tei­le
ein­zut­au­schen, die zu nichts wei­ter füh­ren konn­ten als zu ei­nem qui­chot­tes­ken
Ritt ge­gen Wind­müh­len, die nicht mehr da wa­ren. Ich starr­te auf die
Schmuck­stücke und wuß­te nicht, was ich tun soll­te. Ich wuß­te nur, daß ich
die­ser Nacht ent­kom­men muß­te, und ich klam­mer­te mich dar­an, daß ich noch zwei
Wo­chen Zeit in New York hät­te, ich klam­mer­te mich an das Mor­gen und das
Über­mor­gen wie an Ret­tungs­rin­ge. Ich muß­te nur über die­se Nacht hin­weg­kom­men.
Aber wie, wenn ich ge­ra­de in die­ser Nacht noch Na­ta­scha er­rei­chen konn­te. Wenn
sie dar­auf war­te­te, daß ich sie an­rief. Ich stand da und flüs­ter­te: Nein, nein,
im­mer wie­der, ich flüs­ter­te es wirk­lich, ich sag­te es so, daß ich es deut­lich
hö­ren konn­te, es war et­was, das ich ein­mal ge­lernt hat­te, es hat­te mir frü­her
schon ab und zu ge­hol­fen, daß ich zu mir selbst sprach, ein­dring­lich wie zu
ei­nem Kin­de: Nein, nein, nein und: Mor­gen, mor­gen, mor­gen, und ich tat es jetzt
wie­der, mo­no­ton, als müß­te ich mich be­schwö­ren und hyp­no­ti­sie­ren. Nein, nein!
Mor­gen, mor­gen, bis ich fühl­te, daß es mei­ne Er­re­gung stumpf mach­te, und ich
wei­ter­ge­hen konn­te, lang­sam zu­erst und dann fast keu­chend, bis ich das Ho­tel
er­reich­te.
    ***
    Ich sah Na­ta­scha nicht wie­der. Es
mag sein, daß wir bei­de er­war­tet hat­ten, der an­de­re wür­de sich mel­den. Ich
woll­te es oft, aber je­des Mal sag­te ich mir vor, daß es zu nichts füh­ren kön­ne.
Ich konn­te nicht über den Schat­ten sprin­gen, der mein Da­sein be­glei­te­te, und
ich er­klär­te mir im­mer wie­der, daß es bes­ser sei, et­was be­er­digt zu las­sen, so,
wie es war, als sich noch wei­ter zu ver­let­zen, denn auf et­was an­de­res wür­de es
nicht hin­aus­kom­men. Ich hat­te manch­mal den Ge­dan­ken, daß Na­ta­scha mich
viel­leicht mehr ge­liebt hat, als sie je zu­ge­ge­ben hät­te. Das mach­te mich
atem­los und un­ru­hig, aber es ging dann in der all­ge­mei­nen Un­ru­he des

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