E.M. Remarque
ist nicht notwendig.«
»Ich weiß.«
»Es wäre gut, wenn du einmal nicht lügen
würdest. Wenigstens zum Schluß nicht.«
»Ich werde es versuchen.«
Sie sah mich rasch an. »Du gibst es also
zu?«
»Wie kann ich das? Aber wie kann ich es
auch bestreiten? Du mußt glauben, was du willst.«
»Das ist einfach, wie?«
»Nein, das ist gar nicht einfach. Ich gehe
fort, das ist wahr. Ich kann dir nicht einmal erklären, weshalb. Alles, was ich
sagen kann, ist, daß es so ist, als wenn jemand in den Krieg muß.«
»Muß?« fragte sie.
Ich schwieg gequält. Ich mußte es
durchstehen. »Ich kann nichts dazu sagen«, erwiderte ich schließlich. »Du hast
recht. Wenn Recht irgend etwas damit zu tun hat. Ich bin alles das, was du
gesagt hast. Ein Lügner, ein Schwindler, ein Egoist. Und ich bin es auch nicht.
Wer kann alles das unterscheiden in einer Situation, in der die Wahrheit das
Unrichtigste ist?«
»Und was ist wichtiger?«
»Daß ich dich liebe«, sagte ich mit
Anstrengung. »Dies ist nicht die Zeit, um das zu sagen.«
»Nein«, sagte sie, plötzlich sanft. »Dies
ist nicht die Zeit, Robert.«
»Doch«, erwiderte ich. »Es ist immer die
Zeit.«
Daß ich sie so leiden sah, schmerzte mich,
als schnitte ich mir die Hand an einem schartigen Messer. Ich hätte es gerne
anders gehabt, aber ich wußte auch, daß das ein jammervoller, komfortabler
Egoismus war.
»Es macht nichts«, sagte sie. »Wir waren
uns weniger, als wir dachten. Wir waren beide Lügner.«
»Ja«, erwiderte ich ergeben.
»Ich war in unserer Zeit auch mit anderen
Männern zusammen. Du warst nicht der einzige.«
»Ich weiß, Natascha.«
»Du weißt es?«
»Nein«, sagte ich rasch. »Ich habe es nicht
gewußt. Ich hätte es nie geglaubt.«
»Du kannst es glauben. Es ist wahr.«
Ich sah den trostlosen Ausweg für ihren
Stolz. Ich glaubte ihr auch in diesem Augenblick nicht. »Ich glaube es dir«,
sagte ich. »Ich hätte es nie erwartet.«
Sie reckte das Kinn höher. Ich liebte sie
sehr, als ich sie so sah. Ich war verzweifelt wie sie, nur war sie es noch
mehr. Der zurückbleibt, ist es immer, selbst wenn man ihm die Waffe überläßt,
um einen zu verwunden. »Ich liebe dich, Natascha. Ich wollte, du könntest das
verstehen. Nicht für mich. Für dich.«
»Nicht für dich?«
Ich merkte, daß ich wieder einen Fehler
gemacht hatte. »Ich bin hilflos«, erklärte ich. »Siehst du das nicht?«
»Wir gehen auseinander wie gleichgültige
Leute, die zufällig ein Stück Weges zusammen gegangen sind und die sich nie
verstanden haben. Wie könnten wir auch?«
Ich wartete darauf, daß mein Charakter als
Deutscher wieder herhalten mußte, aber ich sah auch, daß sie wußte, daß ich
darauf wartete. Was sie nicht wußte, war, daß ich nicht widersprochen hätte. So
unterließ ich es. »Es ist gut, daß es so gekommen ist«, sagte sie. »Ich wollte
dich verlassen. Ich wußte nur nicht, wie ich es dir beibringen sollte.«
Ich wußte, was ich antworten sollte. Ich
konnte es nicht. »Du wolltest weggehen?« fragte ich schließlich doch.
»Ja. Schon lange. Wir waren schon viel zu
lange zusammen. Affären wie unsere sollten kurz sein.«
»Ja«, sagte ich. »Ich danke dir, daß du
gewartet hast. Ich wäre sonst verloren gewesen.«
Sie drehte sich um. »Warum lügst du schon
wieder?«
»Ich lüge nicht.«
»Worte! Immer hast du so viele Worte. Immer
die passenden.«
»Jetzt nicht.«
»Jetzt nicht?«
»Nein, Natascha. Keine. Ich bin traurig und
hilflos.«
»Schon wieder Worte!«
Sie stand auf und griff nach ihrem Kleide.
»Sieh mich nicht an«, sagte sie, »ich will nicht mehr, daß du mich so
ansiehst.«
Sie zog ihre Strümpfe und Schuhe an. Ich
blickte aus dem Fenster. Die Flügel standen offen, und es war warm. Jemand übte
auf einer Geige ›La Paloma‹. Er machte immer denselben Fehler und wiederholte
die ersten acht Takte unermüdlich. Ich fühlte mich sehr elend und
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