Email ans Universum (German Edition)
Politik der vergebliche Epos einer langen Reihe von Versuchen ist, die verfluchten Dinge in Reih und Glied aufzustellen und sie in Regimentern marschieren zu lassen.
Jede Ideologie ist geistiger Mord, eine Reduktion dynamischer Lebensprozesse auf statische Klassifikationen. Jede Klassifikation ist eine Verfluchung, so wie jede Inklusion auch eine Exklusion ist. In einem geschäftig brummenden Universum, wo keine zwei Schneeflocken und keine zwei Bäume und auch nicht zwei Personen identisch sind – tatsächlich ist das kleinste subatomare Teilchen, das uns bekannt ist, von einer Mikrosekunde zur nächsten nicht einmal mit sich selbst identisch – ist jedes Karteikartensystem eine Illusion. „Oder, um es freundlicher auszudrücken:“, wie Nietzsche sagte, „wir sind alle bessere Künstler, als wir glauben.“
Es ist einfach zu erkennen, dass die Etikette „Jude“ im Nazideutschland ein Fluch war, doch tatsächlich ist die Etikette „Jude“ überall ein Fluch, sogar dort, wo es keinen Antisemitismus gibt. „Er ist ein Jude“, „sie ist ein Arzt“ und „er ist ein Dichter“ bedeuten für das Karteikartenzentrum des Kortex, dass meine Erfahrungen mit ihm oder ihr gleich meinen Erfahrungen mit anderen Juden, Ärzten und Dichtern sind. Damit wird die Individualität ignoriert, sobald die Identität bestätigt wurde.
Man kann diesen Mechanismus bei einer Party oder irgendeinem Platz, wo sich Fremde treffen, gut beobachten. Hinter freundlicher Kontaktaufnahme lauert die Vorsicht davor, dass jede Person bei allen anderen nach Etiketten sucht, die den anderen identifizieren und zugleich verfluchen. Letztendlich wird dann aufgedeckt: „Oh, sie ist eine Werbetexterin“, „Oh, er ist ein Bauingenieur“. Beide Seiten entspannen sich, denn von nun an wissen sie, wie sie sich zu verhalten haben und welche Rolle in dem Spiel eingenommen werden muss. Jeder ist zu 99% verflucht worden und der andere reagiert nur auf das eine Prozent, das von der Karteikartenmaschine etikettiert wird.
Gewisse Verfluchungen sind sozial und intellektuell natürlich notwendig.
Eine Sahnetorte, in das Gesicht eines Komikers geworfen, wird von Physikern verflucht, wenn diese die Torte auf Basis newtonscher Bewegungsgesetze analysieren. Diese Gleichungen erzählen uns, was wir über den Aufprall der Torte im Gesicht wissen wollen, aber nichts über die menschliche Bedeutung einer Tortenschlacht.
Ein kultureller Anthropologe, der die soziale Funktion des Komikers als Schamane, Hofnarr und Stellvertreter des Königs analysiert, erklärt das Tortewerfen als die Fortführung des Narrenfestes und die symbolische Ermordung des königlichen Doppelgängers. Das verflucht den Sachverhalt auf anderem Weg.
Ein Psychoanalytiker, der darin ein ödipales Kastrationsritual sieht, verflucht es auf eine dritte Weise und der Marxist, der darin ein Ventil für die unterdrückte Wut des Arbeiters gegen seine Chefs sieht, findet eine vierte Möglichkeit der Verfluchung.
Jede Verfluchung hat einen eigenen Wert und Nutzen, aber bleibt trotzdem so lange eine Verfluchung, bis wir ihre partielle und willkürliche Natur verstehen. Der Dichter, der die Torte im Gesicht des Komikers mit dem moralischen Verfall des Westens oder seiner eigenen verlorenen Liebe vergleicht, begeht eine fünfte Verfluchung, doch sind das verspielte Element und die Wunderlichkeit des Symbolismus in seinem Fall offensichtlich. Zumindest würde man das hoffen, wenn man die Kritiker liest, die bisweilen Zweifel an diesem Punkt kundtun.
Die menschliche Gesellschaft kann entweder entsprechend den Prinzipien der Gewaltausübung (autoritär) oder den Prinzipien der Freiheit (libertär) strukturiert werden.
Gewaltausübung erfordert eine statische soziale Struktur, in welcher Personen als Überlegene oder Unterlegene agieren: eine sadomasochistische Beziehung.
Freiheit repräsentiert eine dynamische Sozialstruktur, in welcher Personen als Gleichberechtigte agieren: eine erotische Beziehung.
In jeder Interaktion zwischen Personen wird entweder Autorität oder Freiheit der dominante Faktor. Familien, Kirchen, Logen, Clubs und Unternehmen scheinen entweder eher autoritär oder eher libertär zu sein.
Wenn wir diesen Gedanken weiterdenken, wird offensichtlich, dass die kampflustigste und intoleranteste Form der Autorität der Staat ist, der es sogar heutzutage noch wagt, einen Absolutismus einzusetzen, den die Kirche schon vor langer Zeit aufgegeben hat, und einen Gehorsam zu erzwingen, der
Weitere Kostenlose Bücher