Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel
hatte.
DER PRINZ . Ich?
MARINELLI . Er erlaube mir, ihm zu sagen, dass der Schritt, den er heute Morgen in der Kirche getan, – mit so vielem Anstände er ihn auch getan – so unvermeidlich er ihn auch tun musste – dass dieser Schritt dennoch nicht in den Tanz gehörte.
DER PRINZ . Was verdarb er denn auch?
MARINELLI . Freilich nicht den ganzen Tanz: aber doch voritzo den Takt.
DER PRINZ . Hm! Versteh ich Sie?
MARINELLI . Also, kurz und einfältig. Da ich die Sache übernahm, nicht wahr, da wusste Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts? Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute? und der Prinz indes den Grund meines Gebäudes untergrub? –
DER PRINZ
(sich vor die Stirne schlagend)
. Verwünscht!
MARINELLI . Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde führe?
DER PRINZ . Verdammter Einfall!
MARINELLI . Und wenn er es nicht selbst verraten hätte? – Traun! ich möchte doch wissen, aus welcher meiner Anstalten, Mutter oder Tochter den geringsten Argwohn gegen ihn schöpfen könnte?
DER PRINZ . Dass Sie Recht haben!
MARINELLI . Daran tu ich freilich sehr unrecht – Sie werden verzeihen, gnädiger Herr –
[58] Zweiter Auftritt
BATTISTA. DER PRINZ. MARINELLI .
BATTISTA
(eiligst)
. Eben kömmt die Gräfin an.
DER PRINZ . Die Gräfin? Was für eine Gräfin?
BATTISTA . Orsina.
DER PRINZ . Orsina? – Marinelli! – Orsina? – Marinelli!
MARINELLI . Ich erstaune darüber, nicht weniger als Sie selbst.
DER PRINZ . Geh, lauf, Battista: sie soll nicht aussteigen. Ich bin nicht hier. Ich bin für sie nicht hier. Sie soll augenblicklich wieder umkehren. Geh, lauf! –
(Battista geht ab.)
Was will die Närrin? Was untersteht sie sich? Wie weiß sie, dass wir hier sind? Sollte sie wohl auf Kundschaft kommen ? Sollte sie wohl schon etwas vernommen haben? – Ah, Marinelli! So reden Sie, so antworten Sie doch! – Ist er beleidiget der Mann, der mein Freund sein will? Und durch einen elenden Wortwechsel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten?
MARINELLI . Ah, mein Prinz, sobald Sie wieder Sie sind, bin ich mit ganzer Seele wieder der Ihrige! – Die Ankunft der Orsina ist mir ein Rätsel, wie Ihnen. Doch abweisen wird sie schwerlich sich lassen. Was wollen Sie tun?
DER PRINZ . Sie durchaus nicht sprechen; mich entfernen –
MARINELLI . Wohl! und nur geschwind. Ich will sie empfangen –
DER PRINZ . Aber bloß, um sie gehen zu heißen. – Weiter geben Sie mit ihr sich nicht ab. Wir haben andere Dinge hier zu tun –
MARINELLI . Nicht doch, Prinz! Diese andern Dinge sind getan. Fassen Sie doch Mut! Was noch fehlt, kömmt sicherlich von selbst. – Aber hör ich sie nicht schon? – Eilen Sie, Prinz! – Da,
(auf ein Kabinett zeigend, in welches sich der Prinz begibt)
wenn Sie wollen, werden Sie uns hören können. – Ich fürchte, ich fürchte, sie ist nicht zu ihrer besten Stunde ausgefahren.
[59] Dritter Auftritt
DIE GRÄFIN ORSINA. MARINELLI .
ORSINA
(ohne den Marinelli anfangs zu erblicken)
. Was ist das? – Niemand kömmt mir entgegen, außer ein Unverschämter, der mir lieber gar den Eintritt verweigert hätte? – Ich bin doch zu Dosalo? Zu dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschäftiger Augendiener entgegenstürzte? wo mich sonst Liebe und Entzücken erwarteten? – Der Ort ist es: aber, aber! – Sieh da, Marinelli! – Recht gut, dass der Prinz Sie mitgenommen. – Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen hätte, hätte ich nur mit ihm auszumachen. – Wo ist er?
MARINELLI . Der Prinz, meine gnädige Gräfin?
ORSINA . Wer sonst?
MARINELLI . Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier? – Er wenigstens ist der Gräfin Orsina hier nicht vermutend.
ORSINA . Nicht? So hat er meinen Brief heute Morgen nicht erhalten?
MARINELLI . Ihren Brief? Doch ja; ich erinnere mich, dass er eines Briefes von Ihnen erwähnte.
ORSINA . Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten? – Es ist wahr, es hat ihm nicht beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, dass er eine Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei Antworts genug; und ich komme.
MARINELLI . Ein sonderbarer Zufall!
ORSINA . Zufall? – Sie hören ja, dass es verabredet worden. So gut, als verabredet. Von meiner Seite, der Brief: von seiner, die Tat. – Wie er dasteht, der Herr Marchese! Was er für Augen macht! Wundert sich das Gehirnchen? und worüber denn?
MARINELLI . Sie schienen gestern so
Weitere Kostenlose Bücher