Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel
Appiani?
MARINELLI . Nicht anders.
[65] ORSINA . Bravo! o bravo! bravo!
(In die Hände schlagend.)
MARINELLI . Wie das?
ORSINA . Küssen möcht ich den Teufel, der ihn dazu verleitet hat!
MARINELLI . Wen? verleitet? wozu?
ORSINA . Ja, küssen, küssen möcht ich ihn – Und wenn Sie selbst dieser Teufel wären, Marinelli.
MARINELLI . Gräfin!
ORSINA . Kommen Sie her! Sehen Sie mich an! steif an! Aug in Auge!
MARINELLI . Nun?
ORSINA . Wissen Sie nicht, was ich denke?
MARINELLI . Wie kann ich das?
ORSINA . Haben Sie keinen Anteil daran?
MARINELLI . Woran?
ORSINA . Schwören Sie! – Nein, schwören Sie nicht. Sie möchten eine Sünde mehr begehen – Oder ja; schwören Sie nur. Eine Sünde mehr oder weniger für einen, der doch verdammt ist! – Haben Sie keinen Anteil daran?
MARINELLI . Sie erschrecken mich, Gräfin.
ORSINA . Gewiss? – Nun, Marinelli, argwohnet Ihr gutes Herz auch nichts?
MARINELLI . Was? worüber?
ORSINA . Wohl, – so will ich Ihnen etwas vertrauen; – etwas, das Ihnen jedes Haar auf dem Kopfe zu Berge sträuben soll. – Aber hier, so nahe an der Türe, möchte uns jemand hören. Kommen Sie hierher. – Und!
(Indem sie den Finger auf den Mund legt.)
Hören Sie! ganz in geheim! ganz in geheim!
(Und ihren Mund seinem Ohre nähert, als ob sie ihm zuflüstern wollte, was sie aber sehr laut ihm zuschreiet.)
Der Prinz ist ein Mörder!
MARINELLI . Gräfin, – Gräfin – sind Sie ganz von Sinnen?
ORSINA . Von Sinnen? Ha! ha! ha!
(Aus vollem Halse lachend.)
Ich bin selten, oder nie, mit meinem Verstande so wohl zufrieden gewesen, als eben itzt. – Zuverlässig, Marinelli; – aber es bleibt unter uns –
(leise)
der Prinz ist ein Mörder! [66] des Grafen Appiani Mörder! – Den haben nicht Räuber, den haben Helfershelfer des Prinzen, den hat der Prinz umgebracht!
MARINELLI . Wie kann Ihnen so eine Abscheulichkeit in den Mund, in die Gedanken kommen?
ORSINA . Wie? – Ganz natürlich. – Mit dieser Emilia Galotti, die hier bei ihm ist, – deren Bräutigam so über Hals über Kopf sich aus der Welt trollen müssen, – mit dieser Emilia Galotti hat der Prinz heute Morgen, in der Halle bei den Dominikanern, ein Langes und Breites gesprochen. Das weiß ich; das haben meine Kundschafter gesehen. Sie haben auch gehört, was er mit ihr gesprochen. – Nun, guter Herr? Bin ich von Sinnen? Ich reime, dächt ich, doch noch so ziemlich zusammen, was zusammen gehört. – Oder trifft auch das nur so von ungefähr zu? Ist Ihnen auch das Zufall? O, Marinelli, so verstehen Sie auf die Bosheit der Menschen sich ebenso schlecht, als auf die Vorsicht.
MARINELLI . Gräfin, Sie würden sich um den Hals reden –
ORSINA . Wenn ich das mehrern sagte? – Desto besser, desto besser! – Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen. – Und wer mir widerspricht – wer mir widerspricht, der war des Mörders Spießgeselle. – Leben Sie wohl.
(Indem sie fortgehen will, begegnet sie an der Türe dem alten Galotti, der eiligst hereintritt.)
Sechster Auftritt
ODOARDO GALOTTI. DIE GRÄFIN. MARINELLI .
ODOARDO . Verzeihen Sie, gnädige Frau –
ORSINA . Ich habe hier nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts übel zu nehmen – An diesen Herrn wenden Sie sich.
(Ihn nach dem Marinelli weisend.)
MARINELLI
(indem er ihn erblicket, vor sich)
. Nun vollends! der Alte! –
[67] ODOARDO . Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der äußersten Bestürzung ist, – dass er so unangemeldet hereintritt.
ORSINA . Vater?
(Kehrt wieder um.)
Der Emilia, ohne Zweifel. – Ha, willkommen!
ODOARDO . Ein Bedienter kam mir entgegengesprengt, mit der Nachricht, dass hierherum die Meinigen in Gefahr wären. Ich fliege herzu, und höre, dass der Graf Appiani verwundet worden; dass er nach der Stadt zurückgekehret; dass meine Frau und Tochter sich in das Schloss gerettet. – Wo sind sie, mein Herr? wo sind sie?
MARINELLI . Sein Sie ruhig, Herr Oberster. Ihrer Gemahlin und Ihrer Tochter ist nichts Übels widerfahren; den Schreck ausgenommen. Sie befinden sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich, Sie zu melden.
ODOARDO . Warum melden? erst melden?
MARINELLI . Aus Ursachen – von wegen – Von wegen des Prinzen. Sie wissen, Herr Oberster, wie Sie mit dem Prinzen stehen. Nicht auf dem freundschaftlichsten Fuße. So gnädig er sich gegen Ihre Gemahlin und Tochter bezeiget: – es sind Damen – Wird darum auch Ihr unvermuteter Anblick ihm gelegen sein?
ODOARDO . Sie haben Recht, mein Herr;
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