Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel
weit entfernt, dem Prinzen jemals wieder vor die Augen zu kommen.
[60] ORSINA . Bessrer Rat kömmt über Nacht. – Wo ist er? wo ist er? – Was gilt’s, er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequicke, das Gekreusche hörte? – Ich wollte herein, und der Schurke vom Bedienten trat vor.
MARINELLI . Meine liebste, beste Gräfin –
ORSINA . Es war ein weibliches Gekreusche. Was gilt’s, Marinelli? – O sagen Sie mir doch, sagen Sie mir – wenn ich anders Ihre liebste, beste Gräfin bin – Verdammt, über das Hofgeschmeiß! So viel Worte, so viel Lügen! – Nun was liegt daran, ob Sie mir es voraus sagen, oder nicht? Ich werd es ja wohl sehen.
(Will gehen.)
MARINELLI
(der sie zurückhält)
. Wohin?
ORSINA . Wo ich längst sein sollte. – Denken Sie, dass es schicklich ist, mit Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet?
MARINELLI . Sie irren sich, gnädige Gräfin. Der Prinz erwartet Sie nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen, – will Sie nicht sprechen.
ORSINA . Und wäre doch hier? und wäre doch auf meinen Brief hier?
MARINELLI . Nicht auf Ihren Brief –
ORSINA . Den er ja erhalten, sagen Sie –
MARINELLI . Erhalten, aber nicht gelesen.
ORSINA
(heftig)
. Nicht gelesen? –
(Minder heftig.)
Nicht gelesen? –
(Wehmütig, und eine Träne aus dem Auge wischend.)
Nicht einmal gelesen?
MARINELLI . Aus Zerstreuung, weiß ich. – Nicht aus Verachtung.
ORSINA
(stolz)
. Verachtung? – Wer denkt daran? – Wem brauchen Sie das zu sagen? – Sie sind ein unverschämter Tröster, Marinelli! – Verachtung! Verachtung! Mich verachtet man auch! mich! –
(Gelinder, bis zum Tone der Schwermut.)
Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausgemacht. Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas anders. Das ist natürlich. Aber warum denn eben [61] Verachtung? Es braucht ja nur Gleichgültigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli?
MARINELLI . Allerdings, allerdings.
ORSINA
(höhnisch)
. Allerdings? – O des weisen Mannes, den man sagen lassen kann, was man will! – Gleichgültigkeit! Gleichgültigkeit an die Stelle der Liebe? – Das heißt, Nichts an die Stelle von Etwas. Denn lernen Sie, nachplauderndes Hofmännchen, lernen Sie von einem Weibe, dass Gleichgültigkeit ein leeres Wort, ein bloßer Schall ist, dem nichts, gar nichts entspricht. Gleichgültig ist die Seele nur gegen das, woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das für sie kein Ding ist. Und nur gleichgültig für ein Ding, das kein Ding ist, – das ist so viel, als gar nicht gleichgültig. – Ist dir das zu hoch, Mensch?
MARINELLI
(vor sich)
. O weh! wie wahr ist es, was ich fürchtete!
ORSINA . Was murmeln Sie da?
MARINELLI . Lauter Bewunderung! – Und wem ist es nicht bekannt, gnädige Gräfin, dass Sie eine Philosophin sind?
ORSINA . Nicht wahr? – Ja, ja; ich bin eine. – Aber habe ich mir es itzt merken lassen, dass ich eine bin? – O pfui, wenn ich mir es habe merken lassen; und wenn ich mir es öfterer habe merken lassen! Ist es wohl noch Wunder, dass mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das denket, ist ebenso ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll es, nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schöpfung bei guter Laune zu erhalten. – Nun, worüber lach ich denn gleich, Marinelli? – Ach, jawohl! Über den Zufall! dass ich dem Prinzen schreibe, er soll nach Dosalo kommen; dass der Prinz meinen Brief nicht lieset, und dass er doch nach Dosalo kömmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr närrisch! – Und Sie lachen nicht mit, Marinelli? – Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der Schöpfung, ob wir arme Geschöpfe gleich nicht [62] mitdenken dürfen. –
(Ernsthaft und befehlend.)
So lachen Sie doch!
MARINELLI . Gleich, gnädige Gräfin, gleich!
ORSINA . Stock ! Und darüber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein, lachen Sie nur nicht. – Denn sehen Sie, Marinelli,
(nachdenkend bis zur Rührung)
was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine ernsthafte – sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt! – Zufall? Ein Zufall wär es, dass der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu sprechen, und mich doch hier sprechen muss? Ein Zufall? – Glauben Sie mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nichts unter der Sonne ist Zufall; — am wenigsten das, wovon die Absicht so
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