Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel
klar in die Augen leuchtet. – Allmächtige, allgütige Vorsicht , vergib mir, dass ich mit diesem albernen Sünder einen Zufall genennet habe, was so offenbar dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist! –
(Hastig gegen Marinelli.)
Kommen Sie mir, und verleiten Sie mich noch einmal zu so einem Frevel!
MARINELLI
(vor sich)
. Das geht weit! – Aber gnädige Gräfin –
ORSINA . Still mit dem Aber! Die Aber kosten Überlegung: – und mein Kopf! mein Kopf!
(Sich mit der Hand die Stirne haltend.)
– Machen Sie, Marinelli, machen Sie, dass ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst bin ich es wohl gar nicht imstande. – Sie sehen, wir sollen uns sprechen; wir müssen uns sprechen –
Vierter Auftritt
DER PRINZ. ORSINA. MARINELLI .
DER PRINZ
(indem er aus dem Kabinette tritt, vor sich)
. Ich muss ihm zu Hülfe kommen –
ORSINA
(die ihn erblickt, aber unentschlüssig bleibt, ob sie auf ihn zugehen soll)
. Ha! da ist er.
[63] DER PRINZ
(geht quer über den Saal, bei ihr vorbei, nach den andern Zimmern, ohne sich im Reden aufzuhalten)
. Sieh da! unsere schöne Gräfin. – Wie sehr betaure ich, Madame, dass ich mir die Ehre Ihres Besuchs für heute so wenig zunutze machen kann! Ich bin beschäftiget. Ich bin nicht allein. – Ein andermal, meine liebe Gräfin! Ein andermal. – Itzt halten Sie länger sich nicht auf. Ja nicht länger! – Und Sie, Marinelli, ich erwarte Sie. –
Fünfter Auftritt
ORSINA. MARINELLI .
MARINELLI . Haben Sie es, gnädige Gräfin, nun von ihm selbst gehört, was Sie mir nicht glauben wollen?
ORSINA
(wie betäubt)
. Hab ich? hab ich wirklich?
MARINELLI . Wirklich.
ORSINA
(mit Rührung)
. »Ich bin beschäftiget. Ich bin nicht allein.« Ist das die Entschuldigung ganz, die ich wert bin? Wen weiset man damit nicht ab? Jeden Überlästigen, jeden Bettler. Für mich keine einzige Lüge mehr? Keine einzige kleine Lüge mehr, für mich? – Beschäftiget? womit denn? Nicht allein? wer wäre denn bei ihm? – Kommen Sie, Marinelli; aus Barmherzigkeit, lieber Marinelli! Lügen Sie mir eines auf eigene Rechnung vor. Was kostet Ihnen denn eine Lüge? – Was hat er zu tun? Wer ist bei ihm? – Sagen Sie mir; sagen Sie mir, was Ihnen zuerst in den Mund kömmt, – und ich gehe.
MARINELLI
(vor sich)
. Mit dieser Bedingung, kann ich ihr ja wohl einen Teil der Wahrheit sagen.
ORSINA . Nun? Geschwind, Marinelli; und ich gehe. – Er sagte ohnedem, der Prinz: »Ein andermal, meine liebe Gräfin!« Sagte er nicht so? – Damit er mir Wort hält, damit er keinen Vorwand hat, mir nicht Wort zu halten: geschwind, Marinelli, Ihre Lüge; und ich gehe.
MARINELLI . Der Prinz, liebe Gräfin, ist wahrlich nicht allein. Es sind Personen bei ihm, von denen er sich keinen [64] Augenblick abmüßigen kann; Personen, die eben einer großen Gefahr entgangen sind. Der Graf Appiani –
ORSINA . Wäre bei ihm? – Schade, dass ich über diese Lüge Sie ertappen muss. Geschwind eine andere. – Denn Graf Appiani, wenn Sie es noch nicht wissen, ist eben von Räubern erschossen worden. Der Wagen mit seinem Leichname begegnete mir kurz vor der Stadt. – Oder ist er nicht? Hätte es mir bloß geträumet?
MARINELLI . Leider nicht bloß geträumet! – Aber die andern, die mit dem Grafen waren, haben sich glücklich hieher nach dem Schlosse gerettet: seine Braut nämlich, und die Mutter der Braut, mit welchen er nach Sabionetta zu seiner feierlichen Verbindung fahren wollte.
ORSINA . Also die? Die sind bei dem Prinzen? die Braut? und die Mutter der Braut? – Ist die Braut schön?
MARINELLI . Dem Prinzen geht ihr Unfall ungemein nahe.
ORSINA . Ich will hoffen; auch wenn sie hässlich wäre. Denn ihr Schicksal ist schrecklich. – Armes, gutes Mädchen, eben da er dein auf immer werden sollte, wird er dir auf immer entrissen! – Wer ist sie denn, diese Braut? Kenn ich sie gar? – Ich bin so lange aus der Stadt, dass ich von nichts weiß.
MARINELLI . Es ist Emilia Galotti.
ORSINA . Wer? – Emilia Galotti? Emilia Galotti? – Marinelli! dass ich diese Lüge nicht für Wahrheit nehme!
MARINELLI . Wieso?
ORSINA . Emilia Galotti?
MARINELLI . Die Sie schwerlich kennen werden –
ORSINA . Doch! doch! Wenn es auch nur von heute wäre. – Im Ernst, Marinelli? Emilia Galotti? – Emilia Galotti wäre die unglückliche Braut, die der Prinz tröstet?
MARINELLI
(vor sich)
. Sollte ich ihr schon zu viel gesagt haben?
ORSINA . Und Graf Appiani war der Bräutigam dieser Braut? der eben erschossene
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