Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel
gehört, nicht verstanden haben will.
MARINELLI . Was, gnädiger Herr?
DER PRINZ . Wozu die Verstellung? – Heraus damit. Ist es wahr? oder ist es nicht wahr?
MARINELLI . Und wenn es denn wäre!
DER PRINZ . Wenn es denn wäre? – Also ist es? – Er ist tot? tot? –
(Drohend.)
Marinelli! Marinelli!
MARINELLI . Nun?
DER PRINZ . Bei Gott! bei dem allgerechten Gott! ich bin unschuldig an diesem Blute. – Wenn Sie mir vorher gesagt hätten, dass es dem Grafen das Leben kosten werde – [55] Nein, nein! und wenn es mir selbst das Leben gekostet hätte! –
MARINELLI . Wenn ich Ihnen vorher gesagt hätte? – Als ob sein Tod in meinem Plane gewesen wäre! Ich hatte es dem Angelo auf die Seele gebunden, zu verhüten, dass niemanden Leides geschähe. Es würde auch ohne die geringste Gewalttätigkeit abgelaufen sein, wenn sich der Graf nicht die erste erlaubt hätte. Er schoss Knall und Fall den einen nieder.
DER PRINZ . Wahrlich; er hätte sollen Spaß verstehen!
MARINELLI . Dass Angelo sodann in Wut kam, und den Tod seines Gefährten rächte –
DER PRINZ . Freilich, das ist sehr natürlich!
MARINELLI . Ich hab es ihm genug verwiesen.
DER PRINZ . Verwiesen? Wie freundschaftlich! – Warnen Sie ihn, dass er sich in meinem Gebiete nicht betreten lässt. Mein Verweis möchte so freundschaftlich nicht sein.
MARINELLI . Recht wohl! – Ich und Angelo; Vorsatz und Zufall: alles ist eins. – Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus versprochen, dass keiner der Unglücksfälle, die sich dabei eräugnen könnten, mir zuschulden kommen solle –
DER PRINZ . Die sich dabei eräugnen – könnten, sagen Sie? oder sollten?
MARINELLI . Immer besser! – Doch, gnädiger Herr, – ehe Sie mir es mit dem trocknen Worte sagen, wofür Sie mich halten – eine einzige Vorstellung! Der Tod des Grafen ist mir nichts weniger, als gleichgültig. Ich hatte ihn ausgefodert; er war mir Genugtuung schuldig; er ist ohne diese aus der Welt gegangen; und meine Ehre bleibt beleidiget. Gesetzt, ich verdiente unter jeden andern Umständen den Verdacht, den Sie gegen mich hegen: aber auch unter diesen? –
(Mit einer angenommenen Hitze.)
Wer das von mir denken kann! –
DER PRINZ
(nachgebend)
. Nun gut, nun gut –
MARINELLI . Dass er noch lebte! O dass er noch lebte! Alles, [56] alles in der Welt wollte ich darum geben –
(bitter)
selbst die Gnade meines Prinzen, – diese unschätzbare, nie zu verscherzende Gnade – wollt’ ich drum geben!
DER PRINZ . Ich verstehe. – Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall, bloßer Zufall. Sie versichern es; und ich, ich glaub es. – Aber wer mehr? Auch die Mutter? Auch Emilia? – Auch die Welt?
MARINELLI
(kalt)
. Schwerlich.
DER PRINZ . Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn glauben? – Sie zucken die Achsel? – Ihren Angelo wird man für das Werkzeug, und mich für den Täter halten –
MARINELLI
(noch kälter)
. Wahrscheinlich genug.
DER PRINZ . Mich! mich selbst! – Oder ich muss von Stund an alle Absicht auf Emilien aufgeben –
MARINELLI
(höchst gleichgültig)
. Was Sie auch gemusst hätten – wenn der Graf noch lebte. –
DER PRINZ
(heftig, aber sich gleich wieder fassend)
. Marinelli! – Doch, Sie sollen mich nicht wild machen. – Es sei so – Es ist so! Und das wollen Sie doch nur sagen: der Tod des Grafen ist für mich ein Glück – das größte Glück, was mir begegnen konnte, – das einzige Glück, was meiner Liebe zustatten kommen konnte. Und als dieses, – mag er doch geschehen sein, wie er will! – Ein Graf mehr in der Welt, oder weniger! Denke ich Ihnen so recht? – Topp! auch ich erschrecke vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter Freund, muss es ein kleines stilles Verbrechen, ein kleines heilsames Verbrechen sein. Und sehen Sie, unseres da, wäre nun gerade weder stille noch heilsam. Es hätte den Weg zwar gereiniget, aber zugleich gesperrt. Jedermann würde es uns auf den Kopf zusagen, – und leider hätten wir es gar nicht einmal begangen! – Das liegt doch wohl nur bloß an Ihren weisen, wunderbaren Anstalten?
MARINELLI . Wenn Sie so befehlen –
DER PRINZ . Woran sonst? – Ich will Rede!
[57] MARINELLI . Es kömmt mehr auf meine Rechnung, was nicht darauf gehört.
DER PRINZ . Rede will ich!
MARINELLI . Nun dann! Was läge an meinen Anstalten? dass den Prinzen bei diesem Unfälle ein so sichtbarer Verdacht trifft? – An dem Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit einzumengen die Gnade
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