Emilia Galotti
eine. Auch meine Sinne,
sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut. Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mutter; - und es erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum in Wo-142
chen besänftigen konnten! - Der Religion! Und welcher Religion? -Nichts Schlimmerszu vermei-den, sprangen Tausende in die Fluten, und sind Heilige! - Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir diesen Dolch.
ODOARDO.Und wenn du ihn kenntest diesen
Dolch! -
EMILIA. Wenn ich ihn auch nicht kenne! - Ein unbekannter Freund, ist auch ein Freund. - Geben Sie mir ihn, mein Vater; geben Sie mir ihn.
ODOARDO.Wenn ich dir ihn nun gebe - da!
(Gibt ihr ihn)
EMILIA. Und da! (Im Begriffe sich damit zu durchstoßen, reißt der Vater ihr ihn wieder aus der Hand)
ODOARDO.Sieh, wie rasch! - Nein, das ist nicht für deine Hand.
EMILIA. Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich -(Sie fährt mit der Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekömmt die Rose zu fassen) Du noch hier? - Herunter mit dir! Du gehö-
rest nicht in das Haar einer, - wie mein Vater will, daß ich werden soll!
ODOARDO. O, meine Tochter! -
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EMILIA. O, mein Vater, wenn ich Sie erriete! -
Doch nein; das wollen Sie auch nicht. Warum zauderten Sie sonst? - (In einem bittern Tone, während daß sie die Rose zerpflückt) Ehedem wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten den besten Stahl in das Herz senkte - ihr zum zweiten das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von ehe-dem! Solcher Väter gibt es keinen mehr!
ODOARDO.Doch, meine Tochter, doch! (in-
dem er sie durchsticht) Gott, was hab' ich getan!
(Sie will sinken, und er faßt sie in seine Arme) EMILIA. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert. - Lassen Sie mich sie küssen, diese väterliche Hand.
Achter Auftritt
(Der Prinz. Marinelli. Die Vorigen)
DER PRINZ (im Hereintreten). Was ist das? - Ist Emilien nicht wohl? ODOARDO.Sehr wohl;
sehr wohl! DER PRINZ (indem er näher
kömmt). Was seh' ich? - Entsetzen!
MARINELLI.Weh mir!
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DER PRINZ. Grausamer Vater, was haben Sie getan?
ODOARDO.Eine Rose gebrochen, ehe der
Sturm sie entblättert. - War es nicht so, meine Tochter?
EMILIA. Nicht Sie, mein Vater - Ich selbst - ich selbst -
ODOARDO.Nicht du, meine Tochter; - nicht du! -Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt.
Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein un-glücklicher Vater!
EMILIA. Ah - mein Vater - (Sie stirbt, und er legt sie sanft auf den Boden)
ODOARDO.Zieh hin! - Nun da, Prinz! Gefällt sie Ihnen noch? Reizt sie noch Ihre Lüste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache schreiet? (Nach einer Pause) Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus soll? Sie erwarten vielleicht, daß ich den Stahl wider mich selbst kehren werde, um meine Tat wie eine schale Tragödie zu beschlie-
ßen? - Sie irren sich. Hier! (indem er ihm den Dolch vor die Füße wirft) Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und liefere mich selbst in das Gefängnis. Ich gehe, 145
und erwarte Sie, als Richter. - Und dann dort -
erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller!
DER PRINZ (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Körper mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli). Hier! heb'
ihn auf. - Nun? Du bedenkst dich? - Elender! -
(Indem er ihn den Dolch aus der Hand reißt) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht mischen. - Geh, dich auf ewig zu verbergen! -
Geh! sag' ich. - Gott! Gott! - Ist es, zum Unglü-
cke so mancher, nicht genug, daß Fürsten Menschen sind: müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen?
Ende des Trauerspiels
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