Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
vielleicht etwas schlampig, doch trotz der Vernachlässigung nicht übel aussehend, weil er ebenmäßig und gut gewachsen ist — und etwas mürrisch. Es ist möglich, dass er bei manchen Menschen im Verdacht eines ungebildeten Hochmuts steht; ich fühle in mir eine verwandte Saite klingen, die mir sagt, dass dem nicht so ist. Mein Gefühl sagt mir: seine Zurückhaltung entspringt einer Abneigung gegen Gefühlsäusserungen und Freundlichkeitsbekundungen. Er wird gleicherweise im verborgenen lieben und hassen und wird es als eine Art von Unverschämtheit erachten, wiedergeliebt oder -gehasst zu werden. Aber halt, ich lasse mir zu sehr die Zügel schiessen, ich statte ihn zu verschwenderisch mit meinen eigenen Charakterzügen aus. Vielleicht hat Mr. Heathcliff ganz andere Gründe dafür, seine Hand zu verstecken, wenn er einen trifft, der seine Bekanntschaft sucht, als die, die mich bewegen. Ich will hoffen, dass ich mit meiner Veranlagung einzeln dastehe. Meine liebe Mutter pflegte zu sagen, ich würde niemals ein gemütliches Heim haben, und erst im letzten Sommer habe ich mich als unwürdig erwiesen, eines zu gründen.
Während ich einen Monat schönen Wetters an der See verlebte, geriet ich in die Gesellschaft eines bezaubernden Geschöpfes, einer wahren Göttin in meinen Augen, solange sie mir keine Aufmerksamkeit schenkte. Ich gab meiner Liebe nie mit Worten Ausdruck; doch wenn Blicke sprechen können, hätte auch der ärgste Dummkopf erraten, dass ich bis über beide Ohren verliebt war. Sie verstand mich schließlich und erwiderte meine Augensprache mit dem süssesten Blick, den man sich vorstellen kann. Und was tat ich? Ich gestehe es voller Scham: ich zog mich, zu Eis erstarrt, in mich selbst zurück wie eine Schnecke, zog mich bei jedem Blick abgekühlter und weiter zurück, bis die arme Unschuld schließlich anfing, ihren eigenen Sinnen zu misstrauen und, niedergeschlagen und verwirrt, ihre Mutter überredete, die Zelte abzubrechen. Durch diese merkwürdige Veranlagung bin ich in den Ruf vorsätzlicher Herzenskälte gekommen, wie unverdient, kann nur ich allein ermessen.
Mein Wirt ging auf den Herdsitz zu, ich nahm am entgegengesetzten Ende Platz und füllte eine Pause des Schweigens mit dem Versuch, die Hündin zu streicheln, die ihre Kinderstube verlassen hatte, wie ein Wolf von hinten an meine Beine herangeschlichen war und ihre weissen Zähne zum Zuschnappen bleckte. Mein Streicheln veranlasste ein langgezogenes tiefes Knurren.
Auch Mr. Heathcliff knurrte. »Sie sollten den Hund lieber in Ruhe lassen!« Er unterdrückte gröbere Gefühlsäusserungen durch ein Aufstampfen mit dem Fuß. »Sie ist nicht gewöhnt, gestreichelt zu werden; sie ist kein Spielhund.« Dann, zu einer Seitentür tretend, rief er wieder: »Joseph!«
Joseph brummelte undeutlich in der Tiefe des Kellers, gab aber nicht zu verstehen, dass er heraufkommen wolle; darum stieg sein Herr zu ihm hinab und ließ mich allein mit der wilden Hündin und einem Paar grimmig zottiger Schäferhunde, die sich mit ihr in die argwöhnische Bewachung jeder meiner Bewegungen teilten. Da ich nicht darauf brannte, mit ihren Fängen in Berührung zu kommen, saß ich still; aber weil ich mir einbildete, sie verstünden stumme Beleidigungen kaum, erlaubte ich mir unglücklicherweise, mit den Augen zu zwinkern und dem Trio Gesichter zu schneiden, und eine Grimasse brachte die Hundedame so auf, dass sie plötzlich in Wut geriet und auf meine Knie sprang. Ich schleuderte sie zurück und beeilte mich, den Tisch zwischen uns zu bringen. Dieser Vorgang brachte die ganze Meute auf die Beine. Ein halbes Dutzend vierfüssiger Furien, verschieden in Alter und Grösse, kam aus verborgenen Winkeln hervor bis in die Mitte des Raumes. Auf meine Stiefelabsätze und Rockschöße hatten sie es besonders abgesehen, und während ich die grösseren Angreifer, so gut es ging, mit dem Schüreisen abwehrte, sah ich mich gezwungen, laut nach jemand im Hause um Hilfe zu rufen, um den Frieden wiederherzustellen.
Mr. Heathcliff und sein Knecht stiegen die Kellertreppe mit aufreizender Ruhe herauf; ich glaube nicht, dass sie sich um eine Sekunde schneller bewegten als sonst, obwohl am Herdplatz ein wahres Unwetter von Toben und Kläffen war. Zum Glück bewies eine Bewohnerin der Küche mehr Eile: eine lebhafte Frauensperson mit aufgeschürztem Kleid, nackten Armen und feuererhitzten Wangen stürzte, eine Bratpfanne schwingend, mitten unter uns und gebrauchte diese Waffe und ihre
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