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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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dass er tot war, aber sein Gesicht und Hals waren vom Regen ganz durchnässt, das Bettzeug tropfte, und er lag bewegungslos da. Der hin und her schwingende Fensterflügel hatte eine seiner Hände, die auf dem Fensterbrett ruhte, aufgeschürft, aber es tropfte kein Blut aus der Wunde; und als ich meine Finger auf die Hand legte, konnte ich nicht mehr daran zweifeln: er war tot und starr.
    Ich hakte das Fenster zu, dann kämmte ich sein langes, schwarzes Haar aus der Stirn zurück und versuchte seine Augen zu schließen, um, wenn möglich, diesen schrecklichen, fast lebendigen Ausdruck des Frohlockens auszulöschen, ehe jemand anderes ihn sah. Die Augen wollten sich nicht schließen, sie schienen allen meinen Anstrengungen zu spotten, und sein geöffneter Mund und seine spitzen weissen Zähne spotteten auch! Mich packte von neuem ein Gefühl feiger Angst, und ich rief nach Joseph. Der schlurfte mit ziemlichem Gepolter heran, aber er weigerte sich zuzufassen.
    »Der Teufel is davongemacht mit seiner Seele«, schrie er, »nu soll er seinen Leichnam obendrein nehmen; was scher ich mich drum! Uuh, was for ’n schlechter Kerl is er, dass er noch im Tode grinst!«, und der alte Sünder grinste selber spöttisch. Ich glaubte, er werde noch Freudensprünge da vor dem Totenbett ausführen; doch plötzlich fasste er sich, fiel auf seine Knie, erhob die Hände und begann ein Dankgebet dafür zu sagen, dass nun der wirkliche Herr und die alte Familie wieder in ihre Rechte eingesetzt worden seien.
    Ich war betäubt von dem schrecklichen Ereignis, und meine Gedanken umkreisten die alten Zeiten mit einer Art bedrückter Traurigkeit. Der arme Hareton, der von allen am meisten Unrecht erlitten hatte, war jetzt der einzige, der wirklich tief trauerte. Er saß die ganze Nacht bei dem Toten und weinte bitterlich. Er drückte seine Hand und küsste das spöttisch wilde Gesicht, vor dem alle anderen zurückschraken, und betrauerte den Verstorbenen mit dem tiefen, ehrlichen Kummer, der jedem großmütigen Herzen entspringt, auch wenn es fest wie gehärteter Stahl ist.
    Doktor Kenneth war in Verlegenheit, welchen Namen er der Krankheit geben sollte, an der der Herr gestorben war. Ich verschwieg die Tatsache, dass er vier Tage lang keinen Bissen zu sich genommen hatte, um allen Schwierigkeiten vorzubeugen. Ich war auch überzeugt davon, dass er nicht absichtlich gefastet hatte; es war die Folge einer seltsamen Krankheit, nicht ihre Ursache.
    Zum Ärgernis der ganzen Nachbarschaft begruben wir ihn so, wie es sein Wunsch gewesen war: Earnshaw und ich, der Totengräber und sechs Männer, die den Sarg trugen, waren das ganze Trauergeleit. Die sechs Leute gingen davon, nachdem sie den Sarg in die Grube hinuntergelassen hatten, wir anderen blieben, bis sie geschlossen war. Hareton stach mit tränenüberströmtem Gesicht grüne Rasenstücke ab und legte sie selbst über den braunen Hügel. Jetzt ist er schon so weich und dicht bewachsen wie alle um ihn her, und ich hoffe, der Schläfer unter ihm ruht ebenso friedlich wie die anderen. Aber die Bauersleute hier würden Ihnen, wenn Sie sie fragen, auf die Bibel schwören, dass er umgeht. Einige wollen ihn nahe der Kirche, andere im Moor, wieder andere sogar hier im Hause gesehen haben: ›Müssiges Geschwätz!‹ werden Sie sagen, und ich denke ebenso. Aber der alte Mann da am Küchenfeuer schwört darauf, dass er seit seinem Tode an jedem regnerischen Abend zwei Gestalten gesehen hat, die aus dem Fenster seines Zimmers herausblickten, und vor etwa einem Monat begegnete mir selber etwas Seltsames: Eines Abends ging ich hinunter nach Thrushcross Grange — es war ein dunkler, gewitterdrohender Abend —, und gerade an der Wegbiegung vor Wuthering Heights begegnete ich einem kleinen Jungen mit einem Schaf und zwei Lämmern vor sich; er weinte jämmerlich, und ich dachte, die Lämmer wären störrisch und wollten sich nicht führen lassen.
    »Was ist denn los, kleiner Mann?« fragte ich.
    »Da unten steht Heathcliff mit ’ner Frau, dort unter dem Busch«, schluchzte er, »un ich trau mich nich vorbei.«
    Ich sah nichts, aber weder die Schafe noch er selber wollten näher herangehen. So wies ich ihn auf den anderen Weg, der weiter unten entlangführt. Wahrscheinlich glaubte er die Geister wirklich zu sehen, nachdem er im einsamen Moor an sie gedacht hatte, weil er von seinen Spielkameraden oder von den Eltern den Unsinn hatte erzählen hören. Aber ich muss gestehen, dass ich selber jetzt nicht gern im

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