Emma traut sich was
sagte ich. »Mit wem warst du denn eigentlich verabredet?«
Klaus goss sich Kaffee ein und schaufelte mindestens fünf Löffel Zucker in seinen Becher. »Das geht dich gar nichts an, Schwesterherz«, sagte er und grinste geheimnisvoll. »Sei nicht so neugierig!« Dann ging er aus der Küche. Im Flur fing er wieder an, laut vor sich hin zu pfeifen. Ich glaube, Klaus pfeift tatsächlich noch schiefer als ich.
Ich sah ihm kopfschüttelnd nach und überlegte, warum er wohl heute so komisch war. Er verhielt sich wirklich ausgesprochen merkwürdig. Hoffentlich wurde er nicht krank. Oder verrückt. Dann fiel mein Blick auf die Arbeitsplatte, an der mein Bruder eben noch gestanden hatte. Neben der Kaffeemaschine hatte er aus Versehen etwas Kaffeepulver verstreut. Und in den Kaffee war etwas gemalt worden. Ein Herz!
Mit offenem Mund sah ich von dem Kaffeeherz durch das Küchenfenster zu meinem Bruder, der auf dem Hof hockte und immer noch laut pfeifend an seinem Mofa herumbastelte. Plötzlich musste ich wie eine Verrückte kichern. Offenbar war ich nicht die Einzige in diesem Haus, die bis über beide Ohren verliebt war. Klaus hatte sich verknallt!
Aber das war noch nicht die letzte Überraschung an diesem Sonntag. Als ich nachmittags etwas schläfrig in meiner Hängematte lag und Omas Mittagessen verdaute (Kohlrouladen mit Erbsen-Möhren-Gemüse und Kartoffelbrei und zum Nachtisch Vanillepudding mit frischen Erdbeeren), hörte ich plötzlich ein leises Knattern. Es kam von draußen. Ich hob den Kopf und horchte. Klaus' Mofa war es nicht, das klang anders. Aber das Geräusch kam mir trotzdem irgendwie bekannt vor. Das Knattern kam immer näher, schließlich knallte es noch einmal furchtbar laut und dann war es still. Ich sprang aus der Hängematte und rannte zum Fenster. Auf dem Hof stand ein schwarzes Motorrad. Der Fahrer hatte noch seinen Helm auf, aber ich erkannte ihn natürlich trotzdem sofort.
»Hallo, Papa!«, rief ich und winkte. Papa winkte zurück.
Dann polterte ich die Dachtreppe hinunter, rannte auf den Hof und sprang in Papas Arme. Ein Wunder, dass er nicht umkippte bei so viel Schwung, wie ich hatte.
»Hallo, Emma«, sagte er, lachte und drückte mich ganz fest.
Der vertraute Geruch seiner Motorradlederjacke stieg mir in die Nase und ich sog ihn ganz tief ein. Hm, das tat gut. Jetzt merkte ich erst, wie sehr ich Papa vermisst hatte. Wir hatten uns in letzter Zeit nicht besonders oft gesehen, weil er ziemlichen Stress mit einem Auftrag gehabt hatte. Er musste lauter Blumen malen. Für einen Pflanzenführer oder so was. Mein Vater ist nämlich ein echter Maler. Besser gesagt, ein Künstler. Das hört er lieber. Aber im Moment macht er gerade keine richtige Kunst, weil man damit nämlich kein Geld verdienen kann. Stattdessen malt er Bilder für Bücher oder Zeitschriften. Die nennt man dann Illustrationen. Papas Illustrationen sind klasse, aber seine richtigen Bilder gefallen mir noch besser. Manche sind riesengroß. So groß, dass sie in unserem Haus an keine Wand passen. Ich war mal mit Papa in einem Kunstmuseum, da gab es auch so große Bilder. Ich hab Papa gefragt, ob er den Mann kennt, der die Bilder gemalt hat. Doch Papa meinte, der Maler sei schon lange tot. Von Papa hing kein Bild in dem Museum. Dabei sind seine Bilder mindestens genauso schön wie die von dem toten Maler. Aber vielleicht muss man ja erst tot sein, damit das Museum Bilder von einem kauft.
Auf jeden Fall waren unsere letzten Treffen in Dederstadt immer ziemlich kurz. Und hier in Tupfingen hatte sich Papa schon ewig lange nicht mehr blicken lassen. Wahrscheinlich hatte er Schiss vor Mama. Die war nämlich immer noch ziemlich sauer, weil Papa jetzt mit dieser Carola zusammen war. Ehrlich gesagt verstand ich das auch nicht so ganz. Besser gesagt, überhaupt nicht.
Mir war völlig schleierhaft, was Papa an dieser Tussi fand. Erst war ich deswegen total wütend auf ihn gewesen, aber inzwischen versuchte ich mich irgendwie damit abzufinden. Erwachsene kann man nun mal nicht immer verstehen. Manchmal machen sie einfach völlig bescheuerte Sachen und kein Mensch weiß, warum. Wahrscheinlich noch nicht mal sie selbst. Am besten, man regt sich nicht zu sehr darüber auf. Bringt schließlich nix. Aber ich hab mir fest vorgenommen, später auf gar keinen Fall so zu werden.
»Super, dass du da bist, Papa!«, sagte ich und drückte ihm einen Kuss auf seine stoppelige Wange. Mein Vater rasiert sich nicht besonders oft. Ich überlegte kurz, ob
Weitere Kostenlose Bücher