Emmas Story
deine Theatralik sogar mir zu viel. Mein Leben ist nicht zerstört. Das ist vielleicht das Gute daran, dass unsere Beziehung im Grunde nur eine Affäre war: Rolf hatte zwar einen großen Platz in meinen Gedanken, aber nicht in meinem realen Leben. Und deswegen hinterlässt er da jetzt auch nicht die Lücke, die in anderen, normalen Beziehungen automatisch entsteht, wenn sich zwei trennen.«
Es klingelt an meiner Wohnungstür.
Ich schaue wie elektrisiert hin.
»Hat es geschellt?«, fragt Armin verwundert.
»Ja«, sage ich.
»Erwartest du jemanden?«
»Nein.«
»Vielleicht die Zeugen Jehovas«, schätzt mein Freund. »Die sind auch oft schon so früh unterwegs.« Es ist Samstag, halb zehn.
›Lu würde nicht noch einmal unangekündigt zu mir kommen‹, denke ich. ›Nicht, nachdem sie beim ersten Mal so damit hereingefallen ist.‹
Andererseits wäre es nicht das erste Mal, dass Lu Dinge wiederholt, die sie schon beim ersten Versuch besser hätte lassen sollen.
»Willst du nicht mal hören, wer es ist?«, fragt Armin.
Erst jetzt löst sich meine Erstarrung. »Ja. Ich geh mal gucken. Ich ruf dich später wieder zurück.«
»Falls ich nicht hier bin, erreichst du mich bei Hannelore. Sie will die Story mit Rolf live hören, hat sie gesagt.«
›Bestimmt hat sie das nur gesagt, weil sie denkt, Armin würde beim Erzählen zusammenbrechen‹, überlege ich, als ich zur Tür hinübergehe.
Für diesen Fall wäre Hannelore dann da, um Erste-Hilfe-Trost zu spenden.
Sie weiß wahrscheinlich noch nicht, dass in den letzten zwei Wochen viel geschehen ist. Mit Armin.
Er hat geheult und geflucht und mit den Fäusten gegen die Wand geschlagen. Ich war dabei, als er den Tag verdammt hat, an dem er Rolf getroffen hat. Und ich habe ihn im Arm gehalten, als er sich an die schönen Stunden erinnerte. Als er die Fotos ein letztes Mal ansah und dann in den Müll warf. Als er das gemeinsame Lied unbedingt auf repeat stellen wollte.
Armin ist wirklich durch das tiefe Tal gewandert, das wir alle fürchten, wenn wir an Liebesbeziehungen denken. Weil Liebesbeziehungen oft auch wieder enden.
Aber Armin ist nicht ausgewichen. Er hat sich dem gestellt, was unausweichlich war: der Trennung.
Aus welchem Grund kommt Lu an einem Samstagvormittag zu mir? Muss sie nicht arbeiten?
Vielleicht will sie mir sagen, dass sie eine Frau, die sich wochenlang nicht meldet, total krank findet und dass sie mich deswegen (›Derwegen!‹, denke ich) ganz sicher nie wiedersehen will.
Vielleicht will sie auch sagen, dass unsere Küsse von neulich Nacht ein Fehler waren.
Vielleicht wird sie mir Vorwürfe machen, weil ich damit angefangen habe. Gerechtfertigte Vorwürfe, gegen die ich nicht einmal etwas einzuwenden wüsste.
Du solltest nie eine auf diese Art und Weise berühren, von der du weißt, dass sie sich mal nach einem einzigen Kuss verzehrt hat. Von der du ahnst, dass sie es vielleicht wieder tut.
Wenn sie mir das vorwerfen würde, ja, das könnte ich verstehen.
Ich drücke nicht gleich auf, sondern hebe den Hörer der Gegensprechanlage ab. Nur für den Fall, dass es doch die Zeugen Jehovas sind.
»Hallo?«, sage ich hinein.
Zuerst denke ich, sie ist schon wieder fort, weil es so lange dauert. Sie ist ein ungeduldiger Mensch. Jedenfalls war sie ein ungeduldiger Teenager. Jeder Knoten war für sie eine persönliche Herausforderung, die sie in wenigen Sekunden auf die Palme bringen konnte. Doch dann knackst es doch in der Leitung.
»Hallo?«, lautet die Antwort von unten. »Ich hoffe, ich störe nicht?! Kann ich raufkommen?«
»Klar!«, sage ich und drücke auf den Türöffner.
Es dauert nur eine halbe Minute, dann betritt Frauke meine Wohnung.
Ich wundere mich.
Wie konnte ich das nur vergessen. Fraukes unerwartete Besuche am Morgen, wenn sie einen Spaziergang mit Loulou hinter sich hat.
Noch etwas erscheint mir sonderbar. Aber ich komm nicht drauf, was es ist.
Wir umarmen uns kurz. Wie immer.
Aber irgendwas ist anders. Aber ich komme nicht dazu, genau hinzufühlen, so schnell ist unsere Umarmung beendet. Wie immer.
Wie immer gehen wir in die Küche, während Loulou meine Wohnung abtrabt, um herauszufinden, ob irgendwo Kekse oder auch ein Apfelbutzen liegen geblieben sind.
Als wir über die Schwelle treten, wird mir plötzlich klar, was mich so irritiert: Ich bin verwundert über das Ausbleiben meines Herzrasens.
»Hast du einen Saft für mich? Ich bin völlig unten. Dieser Hund schafft mich einfach!« Frauke lässt sich
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