Ende eines Sommers
Gründen, wie sich unglücklicherweise herausstellte. Sobald sie ihrem Ehemann einen Sohn geboren hatte, verließ sie beide und ging fort, um mit einem Mann zu leben, der auf den Balearen Grundstücke verkaufte. Als der anfängliche Schock überwunden war, fanden alle übereinstimmend, dies sei das Beste, was hatte passieren können, insbesondere für Sinclair, der seiner Großmutter übergeben wurde und in Elvie unter den glücklichsten Umständen aufwuchs.
An seinen Vater, meinen Onkel Aylwyn, konnte ich mich überhaupt nicht erinnern. Als ich noch sehr klein war, ging er nach Kanada, vermutlich kam er von Zeit zu Zeit zurück, um seine Mutter und sein Kind zu besuchen, aber er war nie in Elvie, wenn wir dort waren. Ich hatte nur ein einziges Anliegen an ihn: Er sollte mir einen Indianerkopfschmuck schicken. Im Lauf der Jahre muß ich diesen Wunsch mehrere hundertmal geäußert haben, aber es war nie etwas daraus geworden.
Sinclair war also praktisch das Kind meiner Großmutter. Und solange ich denken konnte, war ich mehr oder weniger in ihn verliebt gewesen. Er war sechs Jahre älter als ich, und ich hatte wie zu einem großen Bruder zu ihm aufgeblickt, er war ungeheuer weise und unendlich mutig. Er hatte mir beigebracht, wie man einen Haken an einer Angelschnur befestigt, kopfüber auf einem Trapez schwingt, einen Cricketball wirft. Wir gingen zusammen schwimmen und Schlitten fahren, machten unerlaubterweise Lagerfeuer, bauten ein Baumhaus und spielten in dem leckenden alten Boot Piraten.
Als ich nach Amerika kam, schrieb ich ihm zu Anfang regelmäßig, allmählich aber entmutigte mich, daß er nie antwortete. Bald schrumpfte unsere Korrespondenz auf Weihnachtskarten oder gekritzelte Geburtstagsgrüße. Neuigkeiten über ihn wurden mir von meiner Großmutter berichtet, und von ihr hatte ich auch das Foto von der Silvesterparty erhalten.
Nachdem meine Mutter gestorben war, hatte sie – als sei die Sorge um Sinclair nicht genug – angeboten, auch mich bei sich aufzunehmen.
„Rufus, warum läßt du das Kind nicht bei mir?“ Das war kurz nach dem Begräbnis, als wir wieder in Elvie waren und sie in ihrer üblichen praktischen Art den Schmerz beiseite schob und Pläne für die Zukunft machte. Das Gespräch war nicht für meine Ohren bestimmt, aber ich saß auf der Treppe, und ihre Stimmen drangen klar und deutlich durch die geschlossene Tür der Bibliothek.
„Weil es mehr als genug ist, daß du ein Kind auf dem Hals hast.“
„Aber ich hätte Jane sehr gern bei mir … und außerdem, sie würde mir Gesellschaft leisten.“
„Ist das nicht ein bißchen selbstsüchtig?“
„Ich finde nicht. Rufus, es ist ihr Leben, worüber du jetzt nachdenken solltest, ihre Zukunft …“
Mein Vater sagte ein einziges, unhöfliches Wort. Ich war entsetzt, nicht wegen des Wortes, sondern weil er es zu ihr gesagt hatte. Ich fragte mich, ob er wohl ein bißchen betrunken war …
Meine Großmutter ignorierte das und sprach in ihrer üblichen damenhaften Art weiter, aber ihre Stimme klang sehr verhalten, wie immer, wenn sie allmählich ärgerlich wurde.
„Du hast mir gerade gesagt, daß du nach Amerika gehen willst, um das Drehbuch zu deinem Roman zu schreiben. Du kannst doch eine Vierzehnjährige nicht nach Hollywood schleppen.“
„Warum nicht?“
„Was ist mit ihrem Schulunterricht?“
„Es gibt auch in Amerika Schulen.“
„Es wäre so einfach, wenn ich sie hierbehalten würde. Nur bis du dich eingerichtet hast, bis du ein Zuhause gefunden hast.“
Mein Vater stieß mit einem scharrenden Geräusch seinen Stuhl zurück. Ich hörte seine Schritte durch das Zimmer wandern.
„Und dann sage ich, sie soll kommen, und du setzt sie in das nächste Flugzeug?“
„Natürlich.“
„Es würde nicht klappen, das weißt du genau.“
„Warum sollte es nicht gehen?“
„Wenn ich Jane bei dir lasse, wie lange auch immer, würde Elvie ihr Zuhause werden, und sie würde nie wieder fortgehen wollen. Du weißt, daß sie lieber in Elvie ist als irgendwo sonst auf der Welt ist.“
„Dann um ihretwillen …“
„Um ihretwillen nehme ich sie mit mir.“
Ein langes Schweigen folgte. Dann sprach meine Großmutter wieder. „Das ist nicht der einzige Grund, nicht wahr, Rufus?“
Er zögerte, als wollte er sie nicht beleidigen. „Nein“, sagte er schließlich.
„Trotz aller Bedenken, ich glaube immer noch, du machst einen Fehler.“
„Wenn dem so ist, dann ist es mein Fehler. So wie sie mein Kind ist und ich sie
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