Ende eines Sommers
„Wollen Sie keinen Identitätsnachweis … Sie wissen schon, Kreditkarte? Paß?“
Ich sah ihn scharf an. Hinter den Brillengläsern meinte ich einen Schimmer von Belustigung zu entdecken und fragte mich, was er wohl so verdammt komisch fand. „Wenn Sie so lange hier draußen gewohnt hätten wie ich, würden Sie die Tür auch nicht jedem Herumtreiber öffnen, der ums Haus schleicht.“
„Nun, bevor der ums Haus schleichende Herumtreiber eintritt, sollte er vielleicht besser die Scheinwerfer ausschalten. Ich habe sie angelassen, um den Weg zu finden.“
Ohne auf die schnippische Antwort zu warten, die ich ihm zu gern gegeben hätte, ging er wieder hinaus. Ich ließ die Tür offen, warf ein weiteres Scheit ins Feuer und stellte fest, daß meine Hände zitterten und mein Herz schlug wie eine Trommel. Hektisch zog ich den Läufer vor dem Kamin gerade, kickte Rustys Knochen unter den Sessel und zündete mir gerade eine Zigarette an, als er wieder ins Haus kam und die Tür der rückwärtigen Veranda hinter sich zuzog.
Ich drehte mich um und sah ihn an. Er war dunkelhaarig und hellhäutig wie so viele Leute aus dem schottischen Hochland, schlank, und sah auf eine lässige Weise gelehrt aus.
Er trug einen weichen Tweedanzug, der an Ellbogen, Knien und um die Knopflöcher leicht verschlissen war, ein braunkariertes Hemd und einen dunkelgrünen Schlips, und er sah aus, als könne er Lehrer oder Professor irgendeiner obskuren Wissenschaft sein. Sein Alter ließ sich nicht schätzen – irgendwo zwischen dreißig und fünfzig.
„Wie geht es Ihnen jetzt?“ fragte er.
„Schon okay.“ Meine Hand zitterte noch immer unübersehbar.
„Es könnte Ihnen nichts schaden, einen Schluck zu trinken.“
„Ich weiß nicht, ob wir irgend etwas im Haus haben.“
„Wo könnten wir nachsehen?“
„Unter dem Fenstersitz?“
Er ging hinüber, öffnete den Schrank, tastete ein bißchen herum und tauchte mit Staubflocken an den Ärmeln seines Jacketts und einer Viertelflasche Haig in der Hand wieder auf.
„Genau das richtige. Nun fehlt uns nur noch ein Glas.“
Ich holte aus der Küche zwei Gläser, eine Karaffe Wasser und den Eisbehälter und sah zu, wie er die Gläser füllte.
Sie sahen verdächtig dunkel aus. „Ich trinke nicht gern Whisky“, murmelte ich.
„Betrachten sie ihn als Medizin.“ Er gab mir das Glas.
„Ich möchte mich nicht betrinken.“
„Damit betrinken Sie sich nicht.“
Das klang vernünftig. Der Whisky schmeckte rauchig und wärmte wunderbar. Getröstet vom Alkohol schämte ich mich, solch ein Dummkopf gewesen zu sein, und lächelte ihn versuchsweise an.
Er grinste zurück. „Warum setzen wir uns nicht?“
Also setzten wir uns, ich auf den Kaminläufer und er auf die Kante von Vaters großem Sessel, seine Hände baumelten zwischen den Knien, und das Glas stand auf dem Fußboden zwischen seinen Füßen. „Rein interessehalber“, fragte er, „weshalb haben Sie plötzlich die Tür aufgemacht?“
„Es war die Art, wie Sie Ihren Namen sagten. Stewart. Sie kommen aus Schottland, nicht wahr?“
„Ja.“
„Aus welcher Gegend?“
„Caple Bridge.“
„Aber das ist ja ganz in der Nähe von Elvie.“
„Ich weiß. Sehen Sie, ich arbeite bei Ramsay, McKenzie und King …“
„Den Anwälten meiner Großmutter.“
„Stimmt.“
„Aber ich kann mich nicht an Sie erinnern.“
„Ich bin erst seit fünf Jahren in der Firma.“
Etwas Kaltes legte sich um mein Herz, aber ich zwang mich zu fragen: „Es ist doch nichts … passiert?“
„Nein, es ist nichts passiert.“ Seine Stimme klang sehr beruhigend.
„Warum sind Sie dann gekommen?“
„Es geht“, sagte David Stewart, „um eine Reihe unbeantworteter Briefe.“
3
Briefe?“ sagte ich. „Ich verstehe nicht.“ – „Vier, um genau zu sein. Drei von Mrs. Bailey selbst, und einen habe ich in ihrem Namen geschrieben.“
„An wen waren diese Briefe denn gerichtet?“
„An Ihren Vater.“
„Wann?“
„Im Lauf der vergangenen zwei Monate.“
„Haben Sie die Briefe hierhergeschickt? Ich meine, wir ziehen so oft um.“
„Sie selbst haben Ihrer Großmutter geschrieben und ihr diese Adresse angegeben.“
Das stimmte. Wenn wir umzogen, gab ich ihr immer Bescheid. Diese ganze Geschichte war höchst merkwürdig. Mein Vater war, bei all seinen Fehlern, nur sehr wenig geheimnistuerisch … er übertrieb allenfalls in der entgegengesetzten Richtung. Wenn ihn irgend etwas ärgerte, machte er seiner Wut
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