Ende (German Edition)
atmet», sagt Eva und fasst sich an die Nase.
Ginés starrt mit weit aufgerissenen Augen ins Wageninnere, kann sein Entsetzen nicht verbergen. Die Leiche auf dem Fahrersitz hat sich nicht bewegt, obwohl das Auto durch das Öffnen der Tür ins Wanken geraten ist. Offenbar ist sie schon steif. Der Mund ist leicht geöffnet, ist wie ein schwarzes, dumpfes Loch. Die Augen sind halb geschlossen, die Lider bläulich verfärbt, die Hornhaut ist trüb. Der Mann ist zweifelsfrei tot, nur die Kleidung – ein kurzärmliges Hemd, eine Trainingshose und grellfarbene Sportschuhe – erwecken den Eindruck von Normalität. Eva dreht sich um und schaut Ginés an.
«Ganz ruhig, mein Lieber», sagt sie, als sie sein entsetztes Gesicht sieht. «Das ist kein lebender Toter, der ist wirklich tot.»
«Gib mir das Jackett, bitte.»
«Das Jackett? Wieso? Was ist denn los?»
«Die Brieftasche. Die Dokumente», stottert Ginés und zeigt auf die offene Tür, als hielte ihn ein Aberglaube davon ab, sich weiter zu nähern. «Die sind bestimmt in der Innentasche des Jacketts.»
«Sag endlich, was los ist!», beschwert sich Eva, hinter deren Gereiztheit sich wachsende Angst verbirgt.
«Das kann nicht sein! Das kann einfach nicht sein!», stöhnt Ginés fast weinerlich.
Eva macht einen Schritt auf das Auto zu, reißt das Jackett vom Sitz und tastet es so lange ab, bis sie auf die Brieftasche stößt. Sie holt sie heraus, öffnet sie, sucht nach den Dokumenten.
«Andrés Gómez Garrido.»
Ginés ist wie benommen. Sein Mund ist geöffnet, die feuchte Unterlippe hängt schlaff herab, in seinen Augen spiegelt sich Entsetzen. Er scheint um zehn Jahre gealtert. Wieder stammelt er: «Das kann nicht sein!», als fürchte sein Bewusstsein die Schlussfolgerung, als hätte es sich in eine Sackgasse begeben.
«Würdest du mir bitte verraten, was …», drängt Eva, die immer wütender wird, als ihr plötzlich etwas einfällt und ein Verdacht sie beschleicht. «Moment mal. Andrés. Hieß so nicht … Sag bloß, das ist …»
«Er hat sich sehr verändert», erklärt Ginés mit brüchiger Stimme. «Aber dieses Gesicht, das kam mir von Anfang an bekannt vor, und dann der Kopf, diese Schädelform. Haarausfall hatte er schon damals, mit zwanzig. Wir haben uns seinerzeit über seine frühe Glatze lustig gemacht. Verspottet haben wir ihn deswegen!»
«Andrés, der Prophet! Dieser Kerl hier ist also euer Prophet. Und jetzt ist er tot.»
Eva ist plötzlich wie aufgekratzt, als wäre die Entdeckung für sie eine großartige Neuigkeit. Ungläubig schüttelt sie den Kopf, lehnt sich an die Hintertür. Ginés hingegen ist einen Schritt zurückgewichen. Auch er schüttelt den Kopf, aber eher wie ein Kind, das ohne große Hoffnung der Spritze zu entkommen versucht, die der Arzt aufzieht.
«Wie kann das sein? Wieso ist er nicht …?»
«Das ist ja ein Ding!», mokiert sich Eva. «Das soll der berühmte Prophet sein?»
«Wieso ist er nicht …? Er ist der Einzige, der nicht verschwunden ist!», stammelt Ginés wie jemand, der sich an einen Strohhalm klammert. «Und wieso haben wir ihn gefunden? Wieso wir?»
«Zufall, mein Lieber. Reiner Zufall! Wie alles bisher, auch die Reihenfolge des Verschwindens.»
«Du irrst dich», widerspricht ihr Ginés, und seine Stimme überschlägt sich. «Da muss ein intelligentes Wesen am Werk sein, ein Wesen mit einem Plan. Wie ist es sonst zu erklären, dass wir ihn gefunden haben?»
«Jetzt übertreibst du aber!»
Eva beugt sich ins Auto hinein, holt das Blatt heraus und beginnt zu lesen. Es handelt sich um einen Brief, geschrieben auf einem Computer, mit Briefkopf und Absätzen. Je länger sie liest, desto ungläubiger wird ihre Miene, desto verständnisloser. Sie runzelt die Stirn, presst angewidert den Mund zusammen, lächelt verächtlich. Schließlich schüttelt sie den Kopf, schnaubt selbstgefällig durch die Nase und hebt den Blick. Einige Sekunden lang steht sie reglos da und denkt nach.
«Was ist? Was steht da?», drängt Ginés flehend, während Eva um das Auto herum zur Fahrertür geht.
Sie späht durch die Scheibe, legt die Hände als Schutzschirm gegen die Sonne an die Schläfen und sucht den Boden ab. Offenbar findet sie nicht, wonach sie sucht, denn sie öffnet die Tür, die auf dieser Seite nicht klemmt. Triumph spiegelt sich in ihrem Gesicht, dann verzerrt sich ihre Miene. Sie knallt die Tür zu, bedeckt mit beiden Händen Mund und Nase.
«Weißt du, warum er nicht verschwunden ist?», fragt sie
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