Ende (German Edition)
Herberge, der von Neonröhren an der hohen Decke in ein kaltes Licht getaucht wird. Sie wickeln gerade Wurst und Käse aus der Verpackung und verteilen sie auf Plastiktellern. Um den Tisch herum sind Stühle platziert, und auf einer Arbeitsplatte, in der die Spüle und der Herd eingelassen sind, steht eine Stereoanlage mit zwei kleinen Lautsprechern. Durch die geöffnete Tür und zwei winzige Fenster dringt schwüle, nach Wald duftende Luft herein.
«Und dann plötzlich dieser Anruf», erzählt Ibáñez und unterbricht seine Arbeit, die dünnen Schinkenscheiben auf die Plastikteller zu legen. «Wir hatten uns ja seit Jahren nicht mehr gesprochen. Ihr könnt euch bestimmt noch an ihre Stimme erinnern, die war irgendwie frisch, jugendlich, jedenfalls gehe ich ans Telefon und höre diese Stimme, die sagt: ‹Hallo, Ibáñez, weißt du, wer ich bin?›»
Die beiden Frauen lächeln, während sie weiterhin Proviant auspacken. Der Versuch, Nieves’ Stimme zu imitieren, ist Ibáñez zum erotischen Lockruf eines Transvestiten missraten.
«An Nieves hatte ich nun wirklich nicht gedacht», fährt Ibáñez fort, «oder überhaupt an die Clique. Ihre Stimme hat bei mir eher leicht versaute Assoziationen ausgelöst, von wegen Mädchenschule, ihr wisst schon: Schottenröcke, knielange Strümpfe, Kissenschlachten im Schlafsaal. Aber sie hat nicht lockergelassen. ‹Du weißt also wirklich nicht, wer ich bin, du schlimmer Junge, du?›, hat sie gefragt. Da ist in mir eine verrückte Hoffnung aufgekeimt. Sollte das Leben doch gerecht sein? Wenigstens einmal? Sollte es wirklich eine merkwürdige Institution geben, eine Geheimgesellschaft, einen subversiven Ableger der schwedischen Akademie, der obskure, noch unentdeckte Intellektuelle auszeichnet? Auszeichnet mit dem Besuch einer Muse, einer echten Muse, einer Muse, die nicht ein schreckliches Gewand trägt, sondern Markenunterwäsche? Tja, als Nieves mir schließlich ihren Namen nannte, war das eine ziemlich kalte Dusche. Ich hab mich gefühlt wie ein Eskimobaby, das man nackt in den Schnee geworfen hat. Ihr versteht schon: Nieves gleich Schnee. Wie auch immer, jedenfalls war ich total geknickt, weil mein unveröffentlichtes, ja ungeschriebenes Meisterwerk wieder mal keine Anerkennung erfahren hatte.»
Die beiden Frauen haben zugehört, ohne in ihrem Tun innezuhalten, ohne Ibáñez überhaupt anzusehen. Nur diskret gelächelt haben sie manchmal oder den Kopf geschüttelt, wie jemand, der einen Prahlhans nicht ernst nimmt.
«Hör mal! Dir fallen gleich die Schinkenscheiben aus der Hand!», warnt ihn Amparo. «Wozu hast du all die Bücher gelesen, wenn du nicht mal gleichzeitig reden und Schinken auf einen Teller legen kannst?»
«Wortgewandtheit ist eben eine genuin weibliche Tugend», erwidert Ibáñez. «Eure neuronalen Schaltkreise sind wie ein Autopilot und erlauben euch, gleichzeitig …»
«He!», unterbricht ihn Amparo, «Frauen und Männer sind gleich, kapiert? Das sagt sogar die Regierung.»
«Falsch: Frauen sind Männern überlegen. In einer Welt, in der man nicht mehr jagen und Feinde verprügeln muss, kommt den Multitaskingfähigkeiten der Frauen …»
«Was weißt du schon von Frauen!»
Ibáñez bleibt ruhig, lässt sich nicht provozieren. Man hat den Eindruck, als föchten Amparo und er einen altbekannten Kampf aus.
«Ich kenne mich aus, weil ich Frauen aus der Distanz betrachte.»
«Wie ein alter Lustmolch. ‹Schottenröcke›! Und das mit fünfzig!»
«Neunundvierzig, wenn ich bitten darf. Wie sagte schon der Philosoph: Für einen guten Schwanz ist es nie zu spät.»
Jetzt brechen Nieves und Amparo wirklich in Gelächter aus. Die dünnen Plastikteller in ihren Händen wackeln dazu im Takt, sodass der Schinken herunterzufallen droht.
«Ist schon merkwürdig», kommentiert Ibáñez, der mit stoischer Ruhe die Reaktion auf seinen Scherz betrachtet, «da sind wir nicht mal eine Stunde zusammen, und schon verfallen wir wieder in die Rollen, die wir uns vor fünfundzwanzig Jahren zugewiesen haben.»
«Du hast recht, aber nicht ganz», sagt Nieves. «Ich frage nur: Wer von der Clique war immer zuerst im Casino, wenn wir abends verabredet waren?»
«Ginés und Hugo», antwortet Amparo wie aus der Pistole geschossen, «um den weiteren Verlauf des Abends zu planen.»
«Genau», bestätigt Nieves. «Und wer ist heute zuerst da und bereitet die Party vor?»
«Die Singles. Wir sind eben ungebunden», bemerkt Ibáñez. «Wobei ich der einzige Mann bin, der sich
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