Ende (German Edition)

vielleicht Ende zwanzig.»
    «Das spricht umso mehr für ihn als Mann. Umgekehrt wäre das was anderes.»
    «Das muss ein ganz schön großes Vieh gewesen sein. Das ganze Auto wurde durchgerüttelt. Erst dachte ich, sie sind in ein tiefes Schlagloch gefahren.»
    «Mir war beim Aussteigen ganz mulmig, das Tier lief ja noch frei rum!»
    «Das Vieh war mausetot, würde ich sagen. Hast du nicht die Blutspur gesehen? So dickes Blut kann nur aus einer Kopfwunde stammen.»
    «Ich weiß nicht. Ein Tier, das so ein Auto fast umwirft … Außerdem treiben sich hier vielleicht noch mehr von den Viechern rum. Und womöglich wollen sie sich rächen.»
    «Wildschweine sind Vegetarier. Sie greifen nur an, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen. Aber du hast natürlich recht: Treib nie ein Wildschwein in die Enge, schon gar nicht, wenn es verletzt ist.»
    «Jag mir bloß keine Angst ein! Schließlich werden wir die Nacht hier verbringen, mitten im Wald!»
    «Wie damals, als wir noch jung waren.»
    «Kann schon sein, aber damals gab es auch noch keine Wildschweine. Ich hab jedenfalls nie welche gesehen.»
    «Das Auto hat überhaupt nichts abgekriegt, nur eine kleine Delle am Stoßdämpfer. Ich dachte erst, das Tier wäre in den Kühler gerannt, aber da war nichts. Offenbar sind sie drübergefahren und haben es mit den Differenzialen am Kopf erwischt.»
    «Ist eben ein gutes Auto. Ein Cayenne hast du gesagt, oder?»
    «Schon, andererseits zahlen die Leute …»
    «… achtzigtausend Euro.»
    «Eben, die Leute zahlen für die Marke und wollen einen Geländewagen, der auch noch zweihundertfünfzig Sachen macht. Dabei wäre für die Berge ein Defender viel besser, und der ist dreimal billiger. Außerdem hat heutzutage jeder so eine Karre. Auf den Straßen fahren ja mehr Cayennes rum als Opel Corsa.»
    «Wir können uns jedenfalls keinen leisten.»
    «Würde ich auch gar nicht wollen. Für das Geld kaufe ich mir lieber einen 911er. Der beschleunigt in fünf Sekunden von null auf hundert.»
    «Und was machen wir mit den Kindern?»
    «Für die legen wir uns einen Gebrauchten zu. So einen Flitzer muss man in der Garage lassen und immer schön pflegen. Und manchmal holt man ihn raus und … Was macht er denn jetzt? Warum fährt er so langsam? Da hat er schon so ein Auto, und dann …»
    «Ich glaube, die suchen was auf einer Karte, jedenfalls ist die Innenbeleuchtung an.»
    «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ginés eine Karte braucht, so oft, wie der schon hier war.»
    «Und wenn wir uns verfahren haben?»
    «Verfahren? Quatsch!»
    «Vielleicht lässt mich mein Gedächtnis im Stich, aber ich kann mich nicht erinnern, dass hier so viel Wald war. Das ist ja die reinste Wildnis.»
    «Die Bäume sind gewachsen, und ein Stück des Wegs ist inzwischen asphaltiert. Abgesehen davon ist alles so wie früher. Ich kann mich an jede einzelne Kurve erinnern.»
    «Waren da nicht Häuser? Eine Siedlung? Hast du etwa ein Haus gesehen? Ich nicht.»
    «Schatz, ich muss mich auf die Straße konzentrieren. Außerdem sind wir früher immer nachmittags hergekommen, und bei Tageslicht sieht alles anders aus. Die Siedlung wurde wahrscheinlich dichtgemacht.»
    «Dichtgemacht?»
    «Oder abgerissen. Was weiß ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie offiziell genehmigt war.»
    «Zum Glück fährt Ginés vor uns.»
    «Wieso?»
    «Dann sind wir nicht so allein. Mir macht das alles Angst. So weit ab vom Schuss. Und dann diese Dunkelheit. Wahrscheinlich ist der Himmel bewölkt, oder?»
    «Stimmt. Was für eine Schnapsidee! Ich meine Nieves und ihr romantischer Plan von einem Wiedersehen.»
    «Willst du damit sagen, dass du dich nicht freust?»
    «Freuen, na ja, ich find’s eher kitschig. Mit zwanzig, gut, aber …»
    «Ich freu mich riesig, alle wiederzusehen. Bin schon ganz aufgeregt.»
    «Alle? Glaubst du wirklich, der Prophet kommt auch?»
    «Nieves sagt, er kommt. Sie hat mit ihm gesprochen, und er hat fest zugesagt. Aber ich weiß natürlich auch …»
    «Womöglich kommt er tatsächlich. Womöglich hatte er noch nicht genug und will noch mehr.»
    «Sei nicht so gemein! Mir tut er leid. Was wir damals getan haben, war nicht okay. Manchmal, wenn ich daran denke …»
    «Das ist fünfundzwanzig Jahre her, verdammt! Wer erinnert sich denn noch daran?»
    «Er ganz bestimmt.»
    «Da magst du recht haben. Wenn er sich halbwegs normal entwickelt hat – was ich nicht glaube –, sollte er uns dankbar sein. Dann weiß er inzwischen, dass er sich damals