Ende (German Edition)
Himmelsgewölbe wie kleine Partikel auf der Flucht vor der Sonne, deren Leuchten sich hinter den Bergen bereits andeutet. Das durchsichtige Licht verleiht den Wäldern und Hängen, der ganzen Landschaft, etwas Weiches, das sie nur in dem Moment hat, in dem die Nacht geht und der Tag kommt, etwas von einem weiblichen Akt.
Nieves und Amparo haben Hugo und Maribel zwischen sich genommen und gehen langsam die Straße entlang, stöhnen von Zeit zu Zeit, bleiben immer wieder stehen. María und Ginés sind noch am Aussichtspunkt, hängen sich die Taschen über die Schultern. Ginés hält María zurück, als sie aufbrechen will.
«Hack nicht so auf Maribel herum.»
«Ich auf ihr herumhacken? Sie ist doch diejenige, die …!»
«Ich weiß. Aber du darfst nicht vergessen, dass sie ihren Mann verloren hat. Und dass sie Kinder hat. Diese Paranoia mit dem Propheten hilft ihr, es besser zu ertragen.»
«Vielleicht hast du recht. Das Problem ist nur, dass diese Paranoia ansteckend ist. Wir sitzen eh schon in der Scheiße, da dürfen wir nicht auch noch durchdrehen.»
«Ich weiß. Hör mal, noch was: Entschuldige, wenn ich vorhin … Ich wusste nicht, dass du lieber verbergen wolltest …»
«Ach so. Ist ja alles gutgegangen. Kein Problem.»
«Es hat mich überrascht.»
«Ich will nicht als Hure enden. Den größten Teil meines Lebens war ich nämlich keine. Ich will nicht in Schande sterben.»
«Wer sagt, dass du sterben wirst?»
«Wir werden alle sterben», sagt María mit verlorenem Blick und fügt, als sie Ginés’ Gesicht sieht, spöttisch hinzu: «Irgendwann, mein Lieber, irgendwann.»
«Du bist keine Hure. Jedenfalls nicht für mich.»
«Weil du ein guter Kerl bist, etwas Besonderes. Anders deine Freunde: Für die wäre ich die Frau, die sich für Geld ficken lässt. Und darauf habe ich keine Lust.»
«Dann bist du doch nicht ganz mit dir im Reinen.»
«Auf deine schlauen Sprüche kann ich gern verzichten. Wenn es dir nichts ausmacht, kümmere ich mich lieber selbst um meine Widersprüche.»
«Entschuldige.»
«Nein, du musst mich entschuldigen. Du hast ja recht, es ist nur so, dass …»
«Keine Sorge. Betrachte es einfach von der guten Seite: Wenn wir kein Paar sind und außerdem noch keine körperliche Beziehung hatten, dann hat der Prophet, der alles sieht, auch keinen Grund, dir etwas anzutun.»
«Das sagst du nur im Spaß, oder?»
«Man muss beiden eine Kerze anzünden: Gott und dem Teufel. Dem Propheten und den Außerirdischen. Oder den Viren.»
«Mach du dich nur lustig.»
«Überleg mal, was für ein Schock das für Maribel sein wird. Die Arme sieht nämlich beileibe nicht alles. Sie ist höchstens der Vorbote des Würgeengels.»
«Das sagst du wieder nur im Spaß, oder?»
«Weiß nicht. Ich bin dabei, vom Glauben abzufallen. Vom Glauben an die Vernunft, meine ich. Weißt du was? Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben. Wenn ich bei dir bin, fühle ich mich besser. Und das ganz ohne Kaffee.»
María und Ginés laufen dem Quartett, das schon ein gutes Stück vorangekommen ist, hinterher. Am Rand des Horizonts gießt die Sonne flüssige Lava zwischen zwei Berge. In der Mitte des Aussichtspunkts steht schief und einsam die Butangaslampe. Es ist kein Gas mehr in der kleinen Flasche. Niemand hat den Griff zugedreht, die Flamme hat über Nacht allen Brennstoff verbraucht.
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Nieves – Amparo – Ginés – Maribel – María – Hugo
B is Anfang der siebziger Jahre endete die Landstraße von Villallana in Somontano und war die einzige Verbindung zur Außenwelt. Die enge Straße, auf der sich die sechs Freunde gerade dem Dorf nähern, ist neu und führt durch eine schroffe, unbewohnte Felslandschaft.
Die Beschaffenheit der Geländes zwang die Ingenieure, große Felsmassen wegzusprengen und kurz vor dem Dorf einen kleinen Tunnel zu graben. Jahrelang hat diese Unwegsamkeit verhindert, dass dieser Anschluss von Somontano und Villallana an die nördlichen Verkehrswege tatsächlich gebaut wurde. Seither jedoch hat sich die Straße zu einem touristischen Highlight gemausert, vor allem für Wochenendausflügler. Zu verdanken hat sie dies der kargen Schönheit der Landschaft und der Tatsache, dass man auf ihr zu der berühmten Schlucht gelangt.
Wenn man von Villallana kommt, sieht man Somontano schon von weitem am Fuß jenes seltsamen Berges liegen, der dem Dorf seinen Namen verliehen hat. Von der neuen Straße aus hingegen sieht man das Dorf erst im letzten Moment,
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