Ende (German Edition)
wenn man nach einer Kurve das verworrene Felslabyrinth verlässt.
In diesem Labyrinth befinden sich jetzt die zwei Männer und vier Frauen, in einer scharfen, langgezogenen Kurve, die in flachem Gelände beginnt und mitten in einen Berg hineinführt. Es ist die letzte Kurve vor dem Dorf, was die sechs Freunde aber nicht wissen.
Die rechte Felswand ist eher niedrig, an ihrer höchsten Stelle vielleicht fünf oder sechs Meter hoch. Die linke Felswand, die die Außenseite der Kurve bildet, ist höher, so hoch, dass die Sonne – obwohl sie den größten Teil des Himmelsgewölbes schon durchlaufen hat – nicht bis auf die Fahrbahn scheint. Die Wanderer genießen den Schatten. Um diese Uhrzeit ist die Luft noch angenehm lau, während die Sonne schon unangenehm brennt. Der Himmel ist blau, rein, wie auf Hochglanz poliert. Je heißer es wird, desto mehr wird er diesen Glanz verlieren, wird bis zum Mittag in ein gräuliches Weiß übergehen, wie Farbe, die in der Sonne ausbleicht. Es herrscht absolute Stille: Die Vögel haben aufgehört zu zwitschern, und bis die Zikaden zu zirpen beginnen, werden noch Stunden vergehen.
Nach dem wenig erholsamen Schlaf sind die Wanderer nur schwer in Tritt gekommen. Später, als die Muskeln und Gelenke warm waren, ist ihnen das Gehen leichter gefallen, ging wie automatisch. Jetzt aber spüren sie wieder diese Müdigkeit, zumal das Dorf einfach nicht in Sicht kommen will. Es scheint wesentlich weiter entfernt zu liegen, als sie ursprünglich gedacht haben.
Hugo geht schweigend, hält den Blick starr auf den Boden gerichtet. Anfangs haben die anderen ihn stützen müssen wie einen Kranken, inzwischen kommt er wieder allein zurecht. Nur sein Gemütszustand, sein hartnäckiges Schweigen, gibt Anlass zur Sorge. Zweimal hat er etwas gesagt. Beim ersten Mal hat er gefragt, ob jemand Zigaretten hat. In der Faust war schon das Feuerzeug, das er zu keinem Moment aus der Hand gegeben hat. Mit seiner Frage hat er die besorgten Blicke der anderen auf sich gezogen, weil längst niemand mehr etwas zu rauchen hat. Eine halbe Stunde später hat er dieselbe Frage noch einmal gestellt, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass es schon das zweite Mal war.
Auch die anderen gehen schweigend, im Trott ihrer gemeinsamen Müdigkeit. Nur Nieves sagt gelegentlich etwas, ohne Anlass, wie unter Zwang.
«Jetzt kommen keine Tunnel mehr, oder? Tunnel kommen jetzt keine mehr, stimmt’s?»
Dabei zieht sie Ginés am Ärmel, mit einer Dringlichkeit, die etwas Infantiles hat. Andererseits hatten alle ein mulmiges Gefühl, wenn nicht gar Angst, als sie den dreißig Meter langen Tunnel durchquert haben, anfangs in normalem Tempo, dann immer schneller werdend. Durch die Dunkelheit, die dumpfe Stille ist es ihnen vorgekommen wie eine Ewigkeit, haben sie das Gefühl gehabt, in einen Hinterhalt geraten zu sein.
Ginés geht nicht auf Nieves’ Frage ein, also meldet sich Maribel zu Wort.
«Ich glaube schon, dass noch welche kommen. Waren es nicht vier oder fünf?»
«Nein», schaltet sich Amparo ein, «das verwechselst du mit der Straße zum Staudamm. Hier gibt es nur diesen einen Tunnel.»
«Dann ist es auch nicht mehr weit bis zum Dorf», folgert Nieves.
«Nicht mehr weit? Wir müssten längst da sein», meint Ginés. «Wenn ich nicht wüsste, dass hier weit und breit keine andere Straße ist, würde ich denken, wir haben uns verirrt. Ich hätte nicht gedacht, dass da so viele Kurven sind.»
«Im Auto geht’s ruck, zuck», sagt María, «aber zu Fuß ist das was anderes.»
«Ich erinnere mich gut an den Tunnel. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Dorf», behauptet Amparo.
Ginés beachtet Amparo nicht, schaut konzentriert nach vorne zu den Felswänden, dreht sich um und blickt zurück. Die anderen sehen ihn fragend an. Plötzlich sagt er:
«He, Mädels! Mir scheint …»
«Was? Was ist los?», fragt Nieves, der die Angst ins Gesicht geschrieben steht.
«Nichts», beruhigt Ginés sie, «aber schaut euch die Kurve mal an. Ist sehr markant, oder?»
Ginés hat recht. Die Kurve ist extrem langgezogen und wird in ihrem Verlauf immer enger. Von dort, wo sie sich gerade befinden, ist die Gerade, auf der sie gekommen sind, schon nicht mehr zu sehen, ebenso wenig der Ausgang.
«Man könnte meinen, die Kurve hört nie auf», sagt Ginés, der stehengeblieben ist, «ja, man hat sogar das Gefühl, sich im Kreis zu drehen.»
«Sag so was nicht!»
«Ich will damit nur sagen», fährt Ginés fort, «dass wir gleich da
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