Ende (German Edition)
Leben sollte kein Platz mehr sein für Groll. Genau das hat er mit dem Treffen bezweckt: Wir sollten kein schlechtes Gewissen mehr haben. Alles, was er gesagt hat, war so schön! Vielleicht ein bisschen naiv, aber schön!»
«Hast du mit ihm telefoniert?», fragt María, die bis dahin geschwiegen hat.
«Nein, das lief alles über E-Mails.»
«Wie kannst du dann sicher sein, dass er es war?»
«Natürlich war er’s! Wer denn sonst? Jemand anderes hätte das alles über uns nicht wissen können. Und selbst wenn ich mit ihm telefoniert hätte: Ich bin mir nicht sicher, ob ich seine Stimme erkannt hätte. Außerdem ist die Stimme auch keine hundertprozentige Garantie. Die Hälfte von euch hat mich jedenfalls nicht an der Stimme erkannt.»
«Tja», sagt Ginés schließlich, «ich werde den Verdacht nicht los, dass du uns ein Lügenmärchen auftischst. Gestern, in dem Haus mit dem Geier, hast du behauptet, du hättest mit dem Pfarrer gesprochen, wegen der Herberge.»
«Nein, ich hab nur die Schlüssel abgeholt. Um alles andere hat sich Andrés gekümmert.»
«Das wundert mich überhaupt nicht», mischt sich Maribel ein. «Schließlich hatte er immer schon einen guten Draht zu Pfarrern.»
«Ich hatte mich schon gewundert», meldet sich Amparo zu Wort. «Sonst kriegt man die Herberge ja nicht für private Partys.»
«Das darf doch nicht wahr sein!», ruft Ginés und fasst sich mit den Händen an die Schläfen.
«Und die Überraschung, was sollte das sein?», will María wissen.
«Ach, Mädchen, das liegt doch auf der Hand», meint Maribel.
«Ob er was Konkretes geplant hat, weiß ich nicht», antwortet Nieves zögernd. «Ich bin vielmehr davon ausgegangen, dass sein Kommen selbst die Überraschung sein sollte.»
«Wir sitzen tief in der Scheiße», findet María. «Und von eurer Rachetheorie halte ich nichts, rein gar nichts.»
«Alles läuft so, wie er es geplant hat», fängt Maribel schon wieder an. «Hugo leidet wie ein Hund. Und jetzt ist Ibáñez dran. Sonnenklar.»
«Ach ja?», zweifelt María. «Wenn du doch alles weißt, kannst du uns bestimmt sagen, wer der Nächste auf der Liste ist. Bisher hast du nur im Nachhinein richtig geraten, und das ist, mit Verlaub, keine große Leistung.»
«Ich weiß nicht», weicht Maribel aus. «Ab jetzt ist das nicht mehr so klar. Wir Frauen haben ihn besser behandelt. Mehr oder weniger normal.»
«Es reicht!», fleht Nieves. «Ich verstehe nicht, wie ihr euch in dieser Situation streiten könnt. Wo doch in jedem Moment … Ich will nicht verschwinden! Ich will nicht, dass jemand verschwindet!»
«Ganz ruhig», tröstet María sie und nimmt sie in den Arm.
«Ich verstehe nicht, wie ihr euch streiten könnt», wiederholt Nieves.
«Jeder geht eben mit seiner Angst um, so gut er kann», findet Amparo, die immer noch auf dem Boden sitzt und Hugo in den Armen hält. Es hat den Anschein, als wäre er eingeschlafen.
«Bis jetzt ist alle zwölf Stunden jemand verschwunden», gibt Ginés lustlos zu bedenken. «Wenn das der Rhythmus ist, haben wir erst mal nichts zu befürchten.»
«Und noch viel weniger hätte ich zu befürchten, wenn ich nicht so gutgläubig gewesen wäre», sagt Maribel.
«Maribel», schimpft Ginés. «Du hast kein Recht …»
«Wisst ihr, was mir jetzt gut gefallen würde?», mischt sich María ein. «Wenn im Dorf Leute wären. Wenn alles nur eine Übung wäre, eine vorsorgliche Evakuierung. Totlachen würde ich mich!»
«Das hätten wir alle gern», sagt Ginés.
«Da bin ich mir nicht so sicher», entgegnet María. «Offenbar sind einige von uns felsenfest davon überzeugt, dass wir für ihre Sünden bezahlen, ob wir wollen oder nicht.»
«So, es reicht», sagt Ginés. «Nieves hat recht: Es bringt gar nichts, wenn wir uns streiten. Wir müssen jetzt vor allem eins schaffen: bis ins Dorf kommen. Da sind wir bestimmt alle einer Meinung. Was mich angeht: Ein frischer Kaffee und eine Dusche, dann kann von mir aus die Welt untergehen.»
«Lasst uns Hugo aufwecken», fügt er kurz darauf hinzu, um die grüblerische Stille zu beenden, in die alle nach seiner Bemerkung versunken sind.
«Das mit dem Kaffee ist kein Problem», meint Amparo, während sie mit vereinten Kräften Hugo aufhelfen. «Wir müssen nur eine Küche mit Butangasflasche finden.»
Oben, über ihren Köpfen, hat der Himmel jegliche Farbe verloren und die Transparenz angenommen, die den Sonnenaufgang ankündigt. Nur die hellsten Sterne sind noch schwach zu sehen, verlieren sich am
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