Ende (German Edition)
weinerlich. «Ibáñez ist einfach verschwunden. Alle werden wir verschwinden, einer nach dem anderen.»
«Beruhig dich», tröstet María sie. «Wir … Im Moment wissen wir gar nichts. Wir haben ja noch nicht mal dieses Scheißdorf erreicht.»
Amparo sitzt immer noch da und schaut zu ihren Freunden auf. Sie sagt nichts, blickt nur ernst und besorgt. Nach wie vor wiegt sie Hugo in den Armen wie ein Kind, das einschlafen soll, aber ihre Bewegungen haben etwas Mechanisches.
«María hat recht», sagt Ginés. «Wir dürfen nicht aufgeben, ohne wenigstens die erste Etappe beendet zu haben. Wir müssen es bis zum Dorf schaffen. Es ist nicht mehr weit, und hell genug ist es jetzt auch. Lasst uns ausnutzen, dass wir so früh aufgestanden sind. Später wird es zu heiß.»
«Der ewige Optimist», lässt Maribel nicht locker. «Du hast ihn damals am besten behandelt, besser als wir jedenfalls. Dich wird er als Letzten holen.»
Amparo und Nieves sehen sich schweigend an, bringen kein Wort hervor. Nicht einmal Ginés, der mehrmals den Kopf schüttelt, kann sich der Wirkung ihrer Worte entziehen.
«Andererseits ist da noch deine Verlobte», führt Maribel ihren Gedanken fort. «Du weißt ja, dass der Prophet strikt gegen Sex vor der Ehe war.»
«María ist nicht meine Verlobte!», schnauzt Ginés sie wütend an.
«Dann eben deine Lebensgefährtin, was auch immer.»
«Bitte», fleht Nieves.
«Es reicht!», mischt sich María ein. «Schluss jetzt! Ich hab mir das lang genug angehört, aus reiner Höflichkeit. Aber wenn hier nur rumgestänkert wird, spiele ich nicht mehr mit. Ich habe eure Neurosen satt. Ihr seid alt gewordene Sesselfurzer, wie alle aus eurer Generation. Wie meine Eltern: frustriert, weil ihr nicht tut, was euch wirklich Spaß macht. Alles verwandelt ihr in ein Trauma. Was habt ihr diesem Kerl angetan? Habt ihr ihm eine Hure bezahlt? Nicht mal Ginés hat sich getraut, mir alles zu erzählen. Ihr habt ihm eine Hure bezahlt, das war es doch, oder? Und das hat der arme Kerl nicht verkraftet, stimmt’s? Aber das war damals, verdammt! Wie konntet ihr das nur fünfundzwanzig Jahre lang in euch reinfressen? Fickt euch doch selbst! Ginés ist nicht so wie ihr, hört ihr? Ginés ist anders, deshalb mag ich ihn. Aber seit er wieder bei euch ist, seit ihr ihn mit eurem Psychokram angesteckt habt, mit eurer Unfähigkeit …» Sie wendet sich an Ginés: «Lass dich nicht unterkriegen, Schatz. Glaub nicht, was diese Tussi da verzapft. Sag mir, dass du das nicht glaubst.»
Ginés zögert. Es hat ihm die Sprache verschlagen. Er starrt María nur an, seit sie sich in Rage geredet hat, ungläubig, überrascht.
«Natürlich glaube ich das nicht», sagt er schließlich. «Aber du …»
«Dann lass dich nicht kirre machen. Ich werde dich unterstützen, bis zum letzten Moment.»
«Wie rührend!», ruft Maribel. «Es tut gut, zwei Menschen zu sehen, die sich lieben. Und die nicht gewaltsam voneinander getrennt wurden. Aber sag mir eins, Schätzchen. Wie erklärst du dir das alles?» Sie macht eine ausholende Geste.
«Was weiß denn ich! Ich weiß nur, dass wir ganz schön in der Scheiße sitzen. Und wie absurd es ist, dass ihr nicht an eine Katastrophe denkt, an einen Atomunfall, eine Plage, einen Virus, eine Invasion von Außerirdischen, was auch immer, sondern an diesen Kerl, diesen Spinner, diesen verklemmten Typen, der sich wahrscheinlich öfter einen runtergeholt hat als ihr alle zusammen. Dass ihr allen Ernstes in Erwägung zieht, dieser Kerl könnte die halbe Welt entvölkert und einen Stromausfall noch nie da gewesenen Ausmaßes herbeigeführt haben. Und Leute ‹verschwinden› lassen.»
«Du bist diejenige, die es nicht begreifen will», erwidert Maribel. «Du hältst dich für schlau, dabei liegt es auf der Hand! Erklär mir doch mal eins: Wieso ist diese ‹Katastrophe›, von der du sprichst, ausgerechnet in dem Moment eingetreten, als wir die Party gefeiert haben, genau fünfundzwanzig Jahre danach?»
«Zufall», sagt María bedächtig. «Es gibt nämlich so etwas wie Zufall.»
«Und warum ist der Prophet als Einziger nicht aufgetaucht? Ist das auch Zufall? Obwohl er zugesagt hatte, fest zugesagt? Deswegen war Nieves auch so besorgt. Stimmt’s, Nieves? Er hat Stein und Bein geschworen, dass er kommt, oder nicht?»
Nieves antwortet nicht. Sie sitzt da und hebt den Blick, sieht zu den anderen auf, mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck, einer Mischung aus Erstaunen und Erschrockensein. Erst nach
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