Ender 4: Enders Kinder
wir Erfolg haben. Laß uns Erfolg haben. Laß uns das Machtzentrum der Menschheit finden, und laß uns sie davon überzeugen, die Rotte aufzuhalten, bevor sie unnötigerweise eine Welt vernichtet.«
Wang-mu blickte ihn zweifelnd an. Sie überzeugen, die Flotte aufzuhalten? Dieser gehässige Junge mit dem gefühllosen Herzen? Wie konnte er irgend jemanden von irgend etwas überzeugen?
Als könne er ihre Gedanken hören, antwortete er auf ihre stummen Zweifel. »Du siehst, warum ich dich eingeladen habe, mich zu begleiten. Als Ender mich erfand, vergaß er, daß er mich nie während jener Zeit meines Lebens gekannt hat, als ich Menschen überzeugte und sie in wechselnden Allianzen um mich scharte und diesen ganzen Unsinn. Deshalb ist der von ihm erschaffene Peter Wiggin viel zu gemein, offen ehrgeizig und unverhüllt grausam, um einen Mann mit Hämorrhoidaljucken dazu zu überreden, sich seinen eigenen Arsch zu kratzen.«
Erneut wandte sie den Blick von ihm ab.
»Siehst du?« sagte er. »Ich verletze dich immer wieder. Sieh mich an. Verstehst du mein Dilemma? Der echte Peter, das Original, der hätte die Arbeit tun können, die zu tun ich ausgesandt worden bin. Er hätte sie im Schlaf tun können. Er würde längst über einen Plan verfügen. Er wäre fähig, Leute auf seine Seite zu ziehen, sie zu beschwichtigen, sich in ihre Ratsversammlungen einzuschmeicheln. Der Peter Wiggin konnte sogar Bienen ihren Stachel abschwatzen. Aber kann ich es? Ich zweifle daran. Denn, siehst du, ich bin nicht ich selbst.«
Er erhob sich aus seinem Sessel, schob sich grob an ihr vorbei und trat hinaus auf die Wiese, die die kleine Metallkabine umgab, die sie von Welt zu Welt getragen hatte. Wang-mu stand im Eingang und beobachtete ihn dabei, wie er sich vom Schiff entfernte; ein Stückchen, aber nicht zu weit.
Ich weiß etwas davon, wie er sich fühlt, dachte sie. Ich weiß etwas davon, wie es ist, wenn man seinen Willen in dem eines anderen aufgehen lassen muß. Für andere zu leben, als seien sie die Stars in der Geschichte deines Lebens und du nur der Darsteller einer Nebenrolle. Ich bin eine Sklavin gewesen. Aber wenigstens habe ich während jener ganzen Zeit mein eigenes Herz gekannt. Ich habe gewußt, was ich wirklich dachte, auch wenn ich tat, was sie wollten, alles, was erforderlich war, um das zu bekommen, was ich von ihnen haben wollte. Peter Wiggin aber hat keine Vorstellung davon, was er wirklich will, weil sogar sein Groll über seinen Mangel an Freiheit nicht sein eigener ist, sondern von Andrew Wiggin kommt. Sogar seine Selbstverachtung ist Andrews Selbstverachtung, und …
Und immer so weiter zurück, in Kreisen, wie die zufällige Bahn, die er durch die Wiese verfolgte.
Wang-mu dachte an ihre Herrin – nein, ihre frühere Herrin – Qing-jao. Auch sie verfolgte seltsame Muster. Das war es, wozu die Götter sie zwangen. Nein, das ist die alte Denkweise. Das war es, was ihre Zwangsneurose sie zu tun veranlaßte. Sich auf den Boden zu knien und die Maserung des Holzes in jeder Diele zu verfolgen, eine einzelne Linie darin so weit zu verfolgen, wie sie über den Fußboden verlief, Linie um Linie. Es hatte nie etwas bedeutet, und doch mußte sie es tun, weil sie nur durch einen derart sinnlosen, den Geist abstumpfenden Gehorsam ein Stückchen Freiheit von den Impulsen erringen konnte, die sie beherrschten. Es ist Qing-jao, die immer die Sklavin war, und nicht ich. Denn der Meister, der sie beherrschte, kontrollierte sie aus dem Innern ihres eigenen Kopfes heraus. Wohingegen ich immer meinen Meister außerhalb von mir sehen konnte, so daß mein innerstes Selbst nie davon berührt wurde.
Peter Wiggin weiß, daß er von den unbewußten Ängsten und Wünschen eines viele Lichtjahre entfernten, komplizierten Mannes regiert wird. Aber andererseits dachte auch Qing-jao, ihre Besessenheit käme von den Göttern. Was macht es für einen Unterschied, sich zu sagen, daß das Ding, das dich kontrolliert, von außen kommt, wenn du es tatsächlich nur im Innern deines eigenen Herzens erfährst? Wohin kannst du dich davor flüchten? Wie kannst du dich verstecken? Inzwischen mußte Qing-jao befreit sein, befreit durch den Trägervirus, den Peter mit nach Weg gebracht und in die Hände von Han Fei-tzu gelegt hatte. Aber Peter – was für eine Freiheit kann es für ihn geben?
Und doch muß er trotzdem so leben, als ob er frei wäre. Er muß trotzdem um seine Freiheit kämpfen, selbst wenn dieser Kampf selbst bloß ein weiteres
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