Ender 4: Enders Kinder
Willen eines anderen beugte.
Außer natürlich dem Willen Jesu. Das war die Botschaft, die sie ihm gesandt hatte, die Botschaft, derentwegen er hierhergekommen war, entschlossen, mit ihr zu sprechen. Eine kurze Notiz, abgefaßt in der Sprache der Kirche. Sie trenne sich von ihm, um Christus unter den Filhos zu dienen. Sie fühle sich zu dieser Arbeit berufen. Er solle sich als jemand betrachten, der keine weitere Verantwortlichkeit ihr gegenüber habe, und nicht mehr von ihr erwarten als das, was sie allen Kindern Gottes freudig geben würde. Bei aller Liebenswürdigkeit der Formulierung war es eine kalte Botschaft.
Auch Ender war niemand, der sich leicht dem Willen eines anderen beugte. Statt der Botschaft zu gehorchen, war er hierher gekommen, fest entschlossen, das Gegenteil von dem zu tun, was sie verlangte. Und weshalb auch nicht? Was Entscheidungen betraf, hatte Novinha eine schreckliche Vergangenheit hinter sich. Wann immer sie beschlossen hatte, anderen etwas Gutes zu tun, hatte es unweigerlich damit geendet, daß sie sie zerstörte. So wie Libo, ihren Jugendfreund und heimlichen Geliebten, den Vater all ihrer Kinder während der Ehe mit dem gewalttätigen, aber sterilen Mann, der bis zu seinem Tode ihr Gatte gewesen war. Weil sie befürchtete, daß er genau wie sein Vater von der Hand der Pequeninos sterben würde, hatte Novinha ihm ihre lebenswichtigen Entdeckungen bezüglich der Biologie des Planeten Lusitania verheimlicht, da sie Angst hatte, daß dieses Wissen ihn umbringen würde.
Statt dessen war es die Unkenntnis eben jener Information gewesen, die ihm den Tod gebracht hatte. Was sie ohne sein Wissen zu seinem eigenen Besten getan hatte, hatte ihn umgebracht.
Eigentlich sollte man denken, sie hätte etwas daraus gelernt, dachte Ender. Aber sie macht immer noch das gleiche. Trifft Entscheidungen, die das Leben anderer Menschen verderben, ohne Rücksprache mit ihnen zu nehmen, ohne auch nur für einen Augenblick auf die Idee zu kommen, daß sie vielleicht gar nicht von ihr, aus welcher vermuteten Not auch immer, gerettet werden wollen.
Andererseits … wenn sie Libo ganz einfach geheiratet und ihm alles gesagt hätte, was sie wußte, wäre er vielleicht immer noch am Leben gewesen, und Ender hätte niemals seine Witwe geheiratet und ihr dabei geholfen, ihre jüngeren Kinder großzuziehen. Es war die einzige Familie, die Ender jemals gehabt hatte oder vermutlich jemals haben würde. So falsch Novinhas Entscheidungen meist auch waren, die glücklichste Zeit seines Lebens hatte er nur einem ihrer tödlichsten Fehler zu verdanken.
Bei ihrer zweiten Begegnung sah Ender ein, daß sie, dickköpfig wie sie war, nach wie vor nicht mit ihm sprechen würde, und darum gab er wie immer als erster nach und brach das Schweigen zwischen ihnen.
»Die Filhos sind verheiratet, das weißt du. Es ist ein Orden für Eheleute. Ohne mich kannst du kein volles Mitglied werden.«
Sie hielt in ihrer Arbeit inne. Das Blatt der Hacke ruhte auf unbearbeitetem Boden, der Stiel locker in ihren behandschuhten Fingern. »Ich kann die Beete auch ohne dich jäten«, sagte sie endlich.
Sein Herz machte einen Satz der Erleichterung, weil es ihm gelungen war, den Schleier aus Schweigen zu durchdringen. »Nein, das kannst du nicht«, sagte er. »Weil ich nun einmal hier bin.«
»Das hier sind die Kartoffeln«, sagte sie. »Ich kann dich nicht daran hindern, mir bei den Kartoffeln zu helfen.« Unwillkürlich lachten sie beide, und mit einem Ächzen entspannte sie ihren Rücken, richtete sich auf, ließ den Hakenstiel zu Boden fallen und nahm Enders Hand in ihre, eine Berührung, die ihm trotz zweier Lagen dicken Arbeitshandschuhstoffes zwischen ihren Handflächen und Fingern einen Schauer über den Rücken jagte.
»Entweihet meine Hand, verwegen dich …«, begann Ender.
»Kein Shakespeare«, sagte sie. »Kein ›Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich‹.«
»Ich vermisse dich«, sagte er.
»Du wirst darüber hinwegkommen«, sagte sie.
»Das muß ich gar nicht. Wenn du dich den Filhos anschließt, dann tue ich das auch.«
Sie lachte.
Ender gefiel ihre Geringschätzung nicht. »Wenn eine Xenobiologin sich von einer Welt sinnlosen Leidens zurückziehen kann, warum nicht auch ein alter, in Pension gegangener Sprecher für die Toten?«
»Andrew«, sagte sie, »ich bin nicht hier, weil ich dem Leben entsagt habe. Ich bin hier, weil ich mein Herz wahrhaftig dem Erlöser zugewendet habe. Das könntest du nie. Du gehörst nicht
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