Ender 4: Enders Kinder
Symptom seiner Sklaverei ist. Es existiert ein Teil von ihm, der sich danach sehnt, er selbst zu sein. Nein, nicht er selbst. Ein Selbst.
Was aber ist meine Rolle bei all dem? Erwartet man von mir, ein Wunder zu bewirken und ihm ein Aiúa zu geben? Das liegt nicht in meiner Macht.
Und doch habe ich Macht, dachte sie.
Sie mußte Macht haben, oder warum hätte er sonst so offen zu ihr gesprochen? Eine völlig Fremde, und er hatte ihr sofort sein Herz ausgeschüttet. Warum? Weil sie in die Geheimnisse eingeweiht war, ja, aber es spielte auch noch etwas anderes mit.
Ach ja, natürlich. Er konnte offen und ohne Hemmungen mit ihr sprechen, weil sie Andrew Wiggin nie kennengelernt hatte. Vielleicht war Peter nichts als ein Aspekt von Enders Persönlichkeit, alles, was Ender an sich selbst fürchtete und verachtete. Aber sie konnte die beiden niemals miteinander vergleichen. Was immer Peter war, wer immer ihn kontrollierte, sie war seine Vertraute, was sie einmal mehr zu jemandes Dienerin machte. Sie war auch Qing-jaos Vertraute gewesen.
Sie erschauerte, wie um den bedrückenden Vergleich von sich abzuschütteln. Nein, sagte sie sich. Es ist nicht dasselbe. Weil nämlich dieser junge Mann, der so ziellos zwischen den Wildblumen umherwandert, keine Macht über mich hat, es sei denn die, mir von seinem Schmerz zu erzählen und auf mein Verständnis zu hoffen. Was immer ich ihm gebe, werde ich freiwillig geben.
Sie schloß die Augen und lehnte den Kopf gegen den Türrahmen. Ich werde es freiwillig geben, ja, dachte sie. Aber was beabsichtige ich ihm denn zu geben? Wieso, genau das, was er haben will – meine Loyalität, meine Hingabe, meine Hilfe bei all seinem Beginnen. Ich werde in ihm aufgehen. Und warum beabsichtige ich schon jetzt, all das zu tun? Weil er, wie sehr er auch immer an sich zweifeln mag, die Macht hat , Menschen für seine Sache zu gewinnen.
Sie öffnete die Augen wieder und schritt hinaus in das hüfthohe Gras, auf ihn zu. Er sah sie und wartete wortlos, während sie näherkam. Bienen umsummten sie; Schmetterlinge torkelten trunken durch die Luft, wobei sie ihr in ihrem scheinbar ziellosen Flug irgendwie auswichen. Im letzten Augenblick griff sie zu und nahm eine Biene von einer Blüte in die Hand, in die Faust, doch dann, bevor sie sie stechen konnte, warf sie sie Peter ins Gesicht.
Verwirrt und überrascht schlug er die wütende Biene beiseite, duckte sich unter ihr weg, wich ihr aus und lief schließlich ein paar Schritte, bis sie seine Spur verlor und wieder zwischen den Blumen davonsummte. Erst dann konnte er sich wütend zu ihr umdrehen.
»Wofür war denn das ?«
Sie kicherte über ihn – sie konnte nicht anders. Es hatte so komisch ausgesehen.
»Oh, gut, lach nur. Ich sehe schon, du wirst eine nette Gesellschaft sein.«
»Seien Sie nur zornig, mir macht es nichts aus«, sagte Wang-mu. »Ich will Ihnen bloß dies eine sagen. Glauben Sie, daß weit weg auf Lusitania Enders Aiúa plötzlich ›He, eine Biene!‹ gedacht und Sie dazu veranlaßt hat, sie wegzuwischen und ihr wie ein Clown auszuweichen?«
Er verdrehte die Augen. »O, was bist du clever. O Mann, Fräulein Königliche-Mutter-des-Westens, klar, jetzt hast du alle meine Probleme gelöst! Jetzt endlich kapiere ich, warum ich immer ein richtiger Junge gewesen sein muß! Und diese roten Schuhe, he, die haben schon die ganze Zeit über die Macht gehabt, mich nach Kansas zurückzubringen!«
»Was ist Kansas?« fragte sie, wobei sie einen Blick auf seine Schuhe warf, die nicht rot waren.
»Bloß noch so eine Erinnerung Enders, die er freundlicherweise mit mir geteilt hat«, sagte Peter Wiggin.
Er stand da, die Hände in den Taschen, und blickte sie an.
Sie stand genauso stumm da, die Hände vor sich verschränkt, und erwiderte seinen Blick.
»Also bist du auf meiner Seite?« fragte er endlich.
»Sie müssen versuchen, nicht gemein zu mir zu sein«, sagte sie.
»Mach das mit Ender aus.«
»Es ist mir egal, wessen Aiúa Sie kontrolliert«, sagte sie. »Sie haben trotzdem noch eigene Gedanken, die von seinen verschieden sind – Sie hatten Angst vor der Biene, und in jenem Augenblick hat er nicht einmal an eine Biene gedacht, und das wissen Sie. Welcher Teil von Ihnen demnach auch immer die Kontrolle hat oder wer auch immer zufällig gerade der wirkliche ›Sie‹ ist, direkt da vorn an Ihrem Kopf ist der Mund, der zu mir sprechen wird, und wenn ich mit Ihnen zusammenarbeiten soll, dann sollten Sie besser nett zu mir sein, das sage
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