Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enders Schatten

Enders Schatten

Titel: Enders Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
Achilles eine ganze Gruppe übernommen, darunter das kleinste Kind, das ich je auf der Straße gesehen habe. Ein Junge, es hat mir einfach das Herz zerrissen. Sie nennen ihn Bean, und er ist so klein, sah aus wie ein Zweijähriger, obwohl er, wie ich inzwischen erfahren habe, schon vier Jahre alt ist, und er redet, als wäre er mindestens zehn. Sehr frühreif. Darum ist er wohl auch lange genug am Leben geblieben, um unter Achilles’ Schutz zu gelangen, aber er war nur Haut und Knochen. Die Leute sagen das immer, wenn jemand dünn ist, aber im Fall des kleinen Bean stimmt es wirklich. Ich weiß nicht, wie er überhaupt Muskeln genug hatte, um zu laufen oder auch nur aufrecht zu stehen. Seine Arme und Beine waren so dünn wie bei einem Insekt – oh, ist das nicht schrecklich? Ihn mit den Schaben zu vergleichen? Oder sollte ich lieber sagen, den Formics, ›Schaben‹ klingt so abwertend, finden Sie nicht auch?«
    Â»Sie sagen also, Helga, es habe mit diesem Achilles angefangen?«
    Â»Bitte nennen Sie mich Hazie. Wir sind doch jetzt Freundinnen, oder?« Sie griff nach Schwester Carlottas Hand. »Sie müssen diesen Jungen kennen lernen. So ein Mut! So eine Voraussicht! Testen Sie ihn, Schwester Carlotta, er ist ein Anführer! Er ist ein Zivilisator!«
    Schwester Carlotta wies sie nicht darauf hin, dass Zivilisatoren häufig keine guten Soldaten abgaben. Es genügte, dass der Junge interessant war, und sie hatte ihn beim ersten Mal verpasst. Das erinnerte sie wieder einmal daran, wie sorgfältig sie vorgehen musste.
    Am frühen Morgen, als es noch dunkel war, erschien Schwester Carlotta an der Tür der Suppenküche, wo sich die Schlange bereits gebildet hatte. Helga winkte ihr zu und deutete dann recht auffällig auf einen ziemlich gut aussehenden Jungen, der von kleineren Kindern umgeben war. Erst als Schwester Carlotta näher kam und sah, wie er ein paar Schritte machte, erkannte sie, wie stark sein rechtes Bein verkrüppelt war. Sie versuchte, eine Diagnose zu stellen. War es ein Fall von Rachitis? Oder ein Klumpfuß, der nie korrigiert worden war? Ein falsch geheilter Bruch?
    Das zählte allerdings kaum. Mit einer solchen Verletzung würde die Kampfschule ihn nicht nehmen.
    Dann fiel ihr auf, mit welch abgöttischer Liebe die kleineren Kinder ihn ansahen. Sie hörte, wie sie ihn Papa nannten, und bemerkte, dass sie stets auf seine Anerkennung aus waren. Nur wenige erwachsene Männer waren gute Väter. Dieser Junge – von was, elf? zwölf Jahren? – hatte bereits gelernt, wie man ein hervorragender Vater war. Beschützer, Ernährer, König, Gott für diese Kleinen. Was ihr dem Geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan. Jesus hatte für diesen Jungen namens Achilles einen besonderen Platz tief in seinem Herzen. Also würde sie ihn tatsächlich prüfen, und vielleicht konnte das Bein ja korrigiert werden, und wenn das nicht klappte, konnte sie sicher einen Platz in einer guten Schule hier in Holland – pardon, im Internationalen Territorium – finden, in einer Stadt, die nicht vollkommen überfordert war von der verzweifelten Armut der Flüchtlinge.
    Er weigerte sich.
    Â»Ich kann meine Kinder nicht verlassen«, sagte er.
    Â»Aber es kann sich doch sicher einer der anderen um sie kümmern.«
    Ein Mädchen, das wie ein Junge gekleidet war, meldete sich zu Wort. »Ich kann es tun!«
    Aber es war offensichtlich, dass sie es nicht konnte; sie war dafür zu klein. Achilles hatte recht. Seine Kinder waren von ihm abhängig, und sie zurückzulassen wäre verantwortungslos gewesen. Sie war schließlich genau aus dem Grund hier, weil er zivilisiert war; zivilisierte Menschen verließen ihre Kinder nicht.
    Â»Dann komme ich zu dir«, sagte sie. »Wenn du gegessen hast, bring mich dorthin, wo ihr den Rest der Zeit verbringt, und ich werde euch alle in einer kleinen Schule unterrichten. Nur für ein paar Tage, aber das wäre doch ganz gut, oder?«
    Es war tatsächlich gut. Es war lange her, seit Schwester Carlotta eine Gruppe von Kindern unterrichtet hatte. Und nie hatte sie eine solche Klasse gehabt. Gerade als ihre Arbeit angefangen hatte, selbst ihr vollkommen vergeblich zu erscheinen, hatte Gott ihr eine solche Chance gegeben. Es war vielleicht sogar ein Wunder. Hatte Jesus nicht die Lahmen wieder gesund gemacht? Wenn Achilles bei den Prüfungen gut

Weitere Kostenlose Bücher