Endithors Tochter
angespannt, dann kehrte sie langsam zum Bett zurück, setzte sich wieder und betrachtete den Jungen aus halb zusammengekniffenen Augen.
»Chost – woher kennst du meinen Namen?«
»Einer der Männer sagte ihn zu den andern. Rote Sonja. Er sagte, er habe den Wirt gefragt, wo Ihr wohnt. Ich hatte mich ganz in ihrer Nähe versteckt. Sie haben mich nicht gesehen.«
»Und woher wusstest du, wo ich zu finden sei?«
»Ich – ich folgte Euch hierher, nachdem Ihr mir das Geld geschenkt hattet. Am nächsten Tag behielt ich das Haus im Auge und sah Euch aus diesem Fenster schauen.«
Sonja entspannte sich ein wenig. Sie spürte, dass der Junge die Wahrheit sprach. »Wann sind die Männer fort?«
»Vor ein paar Minuten. Danach kletterte ich hoch. Aber sie waren mindestens eine Stunde vor dem Haus.«
Sonja dachte nach. Sendes? »Wie viele Männer waren es?« erkundigte sie sich.
»Vier, glaube ich. Drei trugen Rüstung. Einer hatte ein schwarzes Gewand an.«
Sonja zog die Brauen zusammen. Kus? Oder vielleicht Nalor? Vermutlich Kus. »Was machten sie?«
»Nichts. Sie standen nur da. Ich habe zumindest nicht gesehen, dass sie etwas taten. Sie sprachen nicht einmal, außer das, was ich Euch erzählte. Sind sie hinter Euch her, Sonja?«
Sonja erinnerte sich an ihren seltsamen Traum und fragte sich, ob Kus ihn ihr irgendwie geschickt hatte. »Hast du gesehen, welche Richtung sie nahmen, als sie weggingen?«
»Nach Norden. Die Straße der Weinhändler hoch.«
Nordwärts, wo sich die Regierungsgebäude befanden und die Wohnungen der Staatsmänner. »Nun, Chost, ich habe dir viel zu danken.«
»Ich – ich wollte Euch bloß vergelten, dass Ihr mir geholfen habt.«
»Das Geld hat dir also geholfen?«
»O ja. Aber es ist bereits alle.«
»Was? Es war eine ganze Menge!«
»Schon, aber wir sind zu viert – und da sind noch mehr. Da ist Stivas Schwester, und da ist …«
»Schon gut, schon gut.« Sonja beobachtete ihn kurz. Sein Blick schweifte durch die Kammer und blieb auf dem Tischchen in der Mitte hängen. Sie hatte dort zwei Äpfel liegen, einen halben Laib Brot, etwas Käse und Wein. »Hast du Hunger, Chost?«
»O nein, nein, nein. Ich habe mir gerade erst aus der Hinterstube eines Bäckers etwas zu essen gestohlen.«
»Ich verstehe. Ich fragte bloß, weil ich etwas hier habe. Du kannst dir gern nehmen, wenn du möchtest.«
»Nun …« Er blickte auf das Tischchen, dann zu Sonja und wieder zu dem Tischchen. »Vielleicht – einen Apfel? Ich habe schon lange keinen Apfel mehr gegessen.«
»Aber sicher. Nimm dir einen Apfel.«
»Und vielleicht ein kleines Stück Käse?«
Sonja zog sich an und setzte sich wieder aufs Bett. Belustigt sah sie zu, wie Chost nach und nach alles aufaß, was sie auf dem Tischchen liegen gehabt hatte.
»Bäcker, hm?«
»Na ja, vielleicht war es auch schon am Morgen, oder gestern Abend.«
»Was wirst du jetzt tun, Chost?«
Er rülpste leicht. »Oh, ich weiß nicht. Vielleicht gehe ich zu meinen Freunden zurück.«
»Wenn du müde bist, kannst du gern hier schlafen.«
Seine Augen leuchteten. »Mit Euch?«
»Auf dem Boden. Im Schrank ist noch eine Decke.«
»Oh.« Es klang enttäuscht. »Das ist. schade!«
»Schade, hm?«
»Ihr seid eine so schöne Lady.«
Sonja lächelte trocken. »Danke. Du bist nicht der erste, den ich heute Nacht enttäuschen musste. Und jetzt sieh zu, dass du schläfst, aber lass dich nicht vom Wirt erwischen. Ich bin bald zurück.« Sie ging zur Tür.
»Wo wollt Ihr hin? Wartet!«
»Ich bleibe nicht lange fort.«
»Ich komme mit Euch!«
»Chost, du schläfst jetzt!«
»Nei-ein! Ihr dürft nicht allein in die Nacht hinausgehen!«
»Du darfst mir glauben, dass ich sehr gut allein auf mich aufpassen kann.«
»Aber diese Männer sind vielleicht noch in der Nähe!«
»Ich habe dir gesagt, ich kann auf mich aufpassen. Ich möchte herausfinden, wer sie sind.«
»Aber ich habe sie gesehen! Ich weiß, wo sie hingegangen sind. Und ich erkenne sie wieder, wenn ich sie sehe!«
Das klang vernünftig. Und Chost kannte die Straßen Shadizars besser als sie. »Na gut, Chost, dann kommt mit.«
Leise stiegen sie die Treppe hinunter und durch die Hintertür auf die Gasse. Sonja roch etwas Merkwürdiges. Chost, dem nichts auffiel, sagte: »Das Große stand genau dort!«
»Oh, wirklich?«
»Ja. Und dann gingen sie in diese Richtung. Eine Sänfte wartete auf sie, ein Stück die Straße weiter.«
Sonja hatte befürchtet, dass ihr heftiges Benehmen auf dem Fest zu
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