Endithors Tochter
als ein Wissenszweig, der half etwas Bestimmtes zu erreichen, wenn man nur die nötigen Mittel, das richtige Handwerkzeug dazu besaß. So einfach war das. Nur brauchte man für Zauberei ungewöhnlicheres Werkzeug als in einem üblichen Gewerbe, und die Ausführung war immer mit gewisser Gefahr verbunden, denn dazu gehörte auch Verbindung zu Wesen, die nicht menschlich waren.
Areel ließ sich ihren Plan noch einmal durch den Kopf gehen und unterdrückte ein Gähnen. Sie hatte die halbe Nacht ihres Vaters Tagebücher studiert, und konnte dann, als sie endlich zu Bett ging, nicht einschlafen. Immer wieder hatte sie sich unter den Decken herumgewälzt und vergebens auf den Schlaf gewartet. Und nun, da die Tempelgongs die zwölfte Stunde nach Einbruch der Dunkelheit schlugen und einen neuen Tag ankündeten, streckte sie sich, schob die Bücher und Schriftrollen zur Seite und stieg aus dem Bett.
An der äußeren Tür klopfte es sanft. Areel zog die Vorhänge um ihr Bett zurück, schritt zur Tür und öffnete sie. »Komm herein, Lera.«
»Ich habe Euer Bad eingelassen, Herrin.«
»Gut.«
Während Lera die Lampen im Gemach löschte, steckte Areel ihr dunkles Haar zurück, schlüpfte aus ihrem Nachtgewand und in Sandalen und warf sich einen dünnen Umhang über. Sie verließ ihr Gemach und begab sich zu ihrem Bad. Es ist erstaunlich, dachte sie, wozu Reichtum und Macht gut sind: für eine eigene Badestube beispielsweise.
Selbst das warme, seifige Wasser konnte sie nicht ganz entspannen. Aber nachdem sie aus dem Bad gestiegen war und ihre Leibmagd sie massierte, fühlte sie sich doch ein wenig besser. Bis Lera kam, um sie mit duftendem Öl einzureiben und ihr Haar zu bürsten, war Endithors Tochter ganz wach und wieder voll innerer Kraft.
Das Frühstück wartete in ihrem Gemach auf sie. Sie aß nicht viel, und Lera, die kam, um den Tisch abzuräumen, machte eine entsprechende Bemerkung.
»Ich habe keinen Hunger«, sagte Areel. »Und ich bin meinen Dienerinnen schließlich keine Rechenschaft schuldig, oder?«
»Nein, Herrin, nein. Bitte verzeiht.« Lera stellte das Geschirr auf ein Tablett. Versehentlich stieß sie dabei einen Weinkelch um. Er flog auf den Boden, und der Wein ergoss sich auf einen Teppich.
»Was ist denn heute mit dir los?« rügte Areel sie verärgert. »Du bist zappelig wie eine Katze!«
»Es tut mir leid, Gebieterin! So leid! Bitte …«
»Lera, was hast du denn?«
Das Mädchen hob den Kelch auf und ließ ihn fast wieder fallen, als sie ihn auf das Tablett stellte. »Ich – ich habe Angst, Herrin. Heute Nacht geschah wieder ein Mord.«
»Wieder ein Mord?«
»Ihr wisst schon …«
»Oh. Oh!« Areel zeigte einen Augenblick ihr Mitgefühl.
»Es macht mir solche Angst, Herrin. Ich fürchte mich vor – vor …«
»Solange du im Haus bleibst, bist du sicher. Du gehst doch nachts nicht spazieren, oder?«
»Nein, Gebieterin.«
»Nun, dann hast du nichts zu befürchten. Rufe jetzt Tirs, er soll den Teppich holen und säubern. Und Siloum soll eine Sänfte bereitstellen.«
»Ja, Lady Areel.« Lera eilte aus dem Gemach, und das Tablett in ihren zitternden Händen schwankte.
Als sie gegangen war, murmelte Areel etwas über ängstliche Sklavinnen und schaute aus dem Fenster auf die Stadt Shadizar – auf das südliche Viertel, wo die Mietshäuser hochragten.
Osumus Wohnung befand sich in einer besonders schmutzigen Gegend des Viertels. Areel hieß ihre Träger – vier, und die einzigen Sklaven außer Tirs, die sie nicht verlassen hatten – vor dem heruntergekommenen Mietshaus warten. Die feinen Lakaien und die prächtige Sänfte erregten beachtliche Aufmerksamkeit auf der Straße. Zwar hatten auch die Armen hier schon oft vornehme Leute vorüberkommen gesehen, aber kaum je die schöneren Dinge des Lebens aus nächster Nähe bewundern können. Doch keiner machte sich an der Sänfte zu schaffen oder versuchte es auch nur. Und die Stadtwächter auf ihrer Runde behielten die Sänfte im Auge und auch die Lakaien, denn sie hielten es für angebracht, sich mit jenen gutzustellen, die so reich waren, sich so etwas leisten zu können.
Areel bog in eine schmale Gasse ein und öffnete eine Tür, die zu einer abgetretenen Treppe führte. Vom Gang rechts davon war Zanken und Keifen zu hören. Offenbar waren hier wirklich nur Wohnräume, sie hatte kein Schenkenschild oder Ähnliches gesehen.
Im ersten Stock passte Areel auf, dass sie mit ihren dünnen Sandalen nicht in eines der herumliegenden
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