Endithors Tochter
den Trägern zu.
Die Sänfte kam zum ruckenden Halt. Sonja zog die Vorhänge zurück, stieg aus und schloss sie wieder. »Mich zum Fest mitzunehmen, war eine gute Idee«, sagte sie, durch die Vorhänge hindurch zu Sendes. »Ich mag nur Zauberer nicht.«
»Du magst so manches andere auch nicht«, brummte Sendes. »Gute Nacht!«
Er rief seinen Trägern zu, ihn zu Lord Nalor zurückzubringen, Sonja schaute der Sänfte nach, wie sie über dem Kopfsteinpflaster dahinschaukelte, und wie die Sklaven sich plagten. Dann bog sie in die Gasse ein, öffnete die Haustür und stieg die dunkle Treppe zu ihrer Kammer hoch.
»Mitra!« murmelte sie kopfschüttelnd. »Männer …«
Ihre Träume in dieser Nacht waren voll starrender, lachender Gesichter – die Gesichter von reichen Leuten in blutroten und fleischfarbenen Gewändern, gedrängt in einem von flackernden Öllampen erhellten Raum. In ihrem Traum sah Sonja sich einem großen hageren Zauberer gegenüber, der sie auslachte, sie mit kalten Augen verfluchte und sie herausforderte, es doch zu wagen, das Schwert gegen ihn zu führen. So sehr sie es auch versuchte, sie vermochte die Klinge nicht zu heben. So schwer wurde ihr Schwert, dass die Spitze auf den Fußboden krachte. »Stoß zu!« höhnte der Hexer in ihrem Traum. Er riss sein Gewand auf und entblößte die Brust. Sein Herz lag auf der Brust: fast schwarzes Muskelgewebe, das heftig pumpte und im Lampenschein glitzerte. »Stoß zu!« Aber sie vermochte das Schwert einfach nicht zu heben. Und die Gesichter – fettig, schwitzend, mit spitzen Zähnen grinsend – drängten immer näher heran, lachten und kicherten in boshafter Freude.
Sie erwachte plötzlich – doch nicht wegen ihres Traums. Mit schweren Gliedern, als hätte ihr Alptraum sie betäubt, setzte sie sich im Bett auf und lauschte. Das Geräusch, das sie aus dem Schlaf gerissen hatte, war noch zu hören. Am Fenster …
»Hotaths Klauen!«
Sie griff über das Kopfkissen, zog das Schwert aus dem Bodenspalt, und beobachtete das Fenster.
Wieder dieses Klacken – wie Steinchen auf dickem Glas, oder als versuchten Tierzähne es durchzubeißen. Mit der blanken Klinge in der Hand stand Sonja auf. Jetzt sah sie, was an ihrem Fenster war. Ein Schatten – eine kleine Gestalt, die am Glas kratzte. Mit der Lautlosigkeit einer Katze durchquerte sie die Kammer, die Klinge erhoben, dass sich der Schein der Lampen im Freien darauf spiegelte. Nackt, wie sie war, spürte sie die nächtliche Kälte, und Gänsehaut überzog ihre Arme und Beine.
Mit schneller Bewegung öffnete sie den Fensterriegel und riss das Fenster auf. Sie hörte einen Aufschrei, sah zwei Hände verzweifelt auf dem Sims Halt suchen.
»Verdammt, was …?«
»Sonja!«
Eine Knabenstimme – und sie erkannte sie.
Die Finger rutschten.
»Mitra!« Sie ließ das Schwert fallen und packte die weißen Hände. »Chost! Was, im Namen …«
»Helft mir hinein, verdammt!«
Sie zog ihn über das Fenstersims. Der Junge keuchte nach Atem und kämpfte um sein Gleichgewicht, als er auf den Boden fiel. Er kam hoch, stützte sich auf. das Fenstersims und hob eine zittrige Hand zum Gesicht.
»Ihr Götter!« krächzte Chost. »Ihr hättet mich fast hinuntergestoßen!«
»Was, bei den neun Höllen, hast du dir dabei gedacht?«
»Ich hätte hinunterfallen und tot sein können!«
»Ich möchte wissen, was du an meinem Fenster zu suchen hattest, Chost?« brüllte Sonja nun fast. Dann fing sie sich. Es war besser, nicht das ganze Haus aufzuwecken.
Sie machte einige Schritte rückwärts, hob ihr Schwert auf und legte es auf die Bettdecken, dann setzte sie sich auf die Bettkante und beobachtete den Jungen. Chost kämpfte immer noch um seinen Atem, aber Sonja bemerkte, dass er sie mit mehr als nur Misstrauen anstarrte. Stumpfgraues Licht kam von außen in die Kammer und offenbarte ihre geschmeidigen langen Beine und die vollen, festen Brüste.
»Du hast wohl noch nie eine nackte Frau gesehen?« fragte sie Chost.
»O doch!«
»Dann wollen wir mal zur Sache kommen. Was hattest du auf meinem Fenstersims zu suchen? Ich hätte dich fast mit dem Schwert durchbohrt – wie schon einmal!«
»Ich kam, Euch zu warnen.«
»Mich warnen?«
»Um Euch zu vergelten, was Ihr für mich getan habt. Ich war auf der Straße und bemerkte, dass ein paar Männer Euer Fenster beobachteten.«
»Was?« Sofort sprang sie auf, rannte zum Fenster und schaute hinaus.
»Sie sind inzwischen fort, Sonja.«
Einen Augenblick stand sie noch
Weitere Kostenlose Bücher