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Endithors Tochter

Titel: Endithors Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David C. Smith & Richard L. Tierney
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gastfreundlich zu Fremden, und freuten sich, wenn sie mit ihrer Arbeit etwas leisteten. Da sie ohne Einfluss waren, konnte die Macht sie nicht verderben; ohne Reichtum konnte Geld sie nicht aus der Bahn werfen; ohne übertriebenen Ehrgeiz, der sie hätte in den Krieg locken können, blieben sie ihren einfachen Göttern des Herdes und Heims, der Fruchtbarkeit und der Jagd treu. Und nur dieser Menschen wegen, die als so selbstverständlich angesehen und so schlecht von jenen mit mehr Geld und Macht behandelt wurden, nur ihretwegen – grübelte Sonja – konnten jene ihre Überlegenheit überhaupt haben. Wenn alle Menschen gleich reich wären, wer könnte da über sie herrschen? Wenn alle Menschen einer Meinung waren, was könnte da ein einzelner mit einer anderen gegen sie ausrichten?
    Doch noch nie war es so gewesen, und nie würde es so sein. Die einfachen Menschen würden für immer und alle Zeit stumm den Rücken vor einer schier endlosen Reihe von Baronen und Herzögen und Königen, Männern mit Geld und Männern mit Macht beugen. Und während diese hohen Herren in ihrem Namen Tempel errichteten und Kriege zu ihrem Ruhm austrugen, würden die einfachen, namenlos bleibenden Leute weiter neues Leben zeugen und gebären und so den wahren Grundstein für alles schaffen, ohne dass Herolde es ausriefen, es in großen Lettern angeschlagen oder es im Tempel verkündet werden würde.
    Einmal, in einem kleinen Dorf, dessen Name ihr jetzt nicht einfiel, hatte Sonja mit einer alten Frau gesessen und zugesehen, wie zwei Bengel sich im Staub balgten.
    »Das ist es«, hatte die Greisin gesagt. »Das ist unsere Zukunft – die Bedeutung unseres Lebens. Unsere Söhne und Töchter. Dazu ist das Leben da. Deshalb hat die Natur uns durch die Götter erschaffen. Um weiterzumachen. Denn im Weitermachen setzen wir uns ein. Mit jedem neuen Leben versuchen wir uns zu verbessern. Ich werde es nicht erleben – sie vermutlich auch nicht –, aber eines Tages? Die Kinder oder Kindeskinder ihrer Kinder ernten vielleicht die Früchte. Erinnert Ihr Euch an Eure Religion? Einst war die Erde ein Paradies. Die Götter erschufen die Erde und alles auf ihr nach ihrem Willen. Doch als die Menschen sich auflehnten, schickten Götter alle Laster zu ihnen und sagten ihnen, erst wenn es ihnen schließlich glückte, alle Laster wieder zu vertreiben, würde das Paradies neu erstehen. Deshalb leben wir. Für die Kinder. Um sie zu lehren. Einige mögen umherirren, einige mögen lernen. Verschiedene Ideen kommen vom selben Verstand, vom Verstand der Götter. Wir müssen unterscheiden lernen, das ist alles. Wir leben weiter, um Kinder zu haben. Denn für sie erschufen die Götter die Welt. Für sie – nicht für uns!«
    Für die Kinder. Und doch, jeder Mensch begann als Kind – und schließlich wurde er alt und starb. Sonja hatten die Worte der Frau gerührt, aber sie war nicht imstande gewesen, sie zu glauben. Noch jetzt war ihr, als spüre sie das verzweifelte Bedürfnis der Greisin nach einem Sinn des Lebens – aber gab es diesen Sinn auch wirklich?
    Sonja blickte auf Chost hinunter, so jung war er und doch auf manche Weise so alt. Und sie dachte über sich selbst nach, über die Frau, die sie war. Denn eine Frau war sie. Eine Frau in Rüstung, eine Frau mit einem Schwert, das stimmte, doch auch eine Frau mit Tugenden und Lastern, mit geheimen Hoffnungen und Ambitionen, von denen einige sich erfüllen würden und andere nicht. Eine Frau mit Monatsblutungen wie alle Frauen. Und doch eine Frau ohne Kinder – ohne diese Hoffnung für die Zukunft.
    Sie betrachtete Chost und fragte sich, ob in einer anderen Welt mit einer anderen Geschichte, einem anderen Leben, sie vielleicht einen Sohn wie Chost hätte haben können. Wenn ihr Leben anders verlaufen wäre – wenn es wirklich eine Seelenwanderung gäbe!
    Sie wappnete sich gegen diese Gedanken. Es hatte keinen Sinn, ihnen nachzuhängen. Sie stand vom Bett auf, ging zum Tisch und schnitt sich ein Stück Käse ab.
    Chost wachte auf, rieb sich die Augen. »Sonja?«
    »Ja, ich bin hier.«
    »Wie spät ist es? Ihr Götter! Habe ich den ganzen Tag verschlafen?«
    »Ja«, bestätigte Sonja. »Du hast den ganzen Tag geschlafen. Und du musst angenehme Träume gehabt haben, Chost. Sehr angenehme Träume …«
     
    Areel studierte das Stück Pergament, dann Leras verstörtes Gesicht und schließlich wieder das Pergament.
    »Warum hast du mir nicht gleich davon erzählt?«
    »Ich – ich hatte solche Angst und dachte

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