Endithors Tochter
des Regens, und in der Kälte – und er überlegte, wie er Kus vernichten könnte.
Der Regen ließ nach, doch noch pfiff der Wind stürmisch über das Wiesen- und Ackerland jenseits der Stadtmauern. Das Murmeln von Wasser, das. in die Erde sickerte und das endlose Tropfen von den breiten Blättern der Bäume und Büsche, drang in Sendes Ohr.
Durch die wispernden, nassen Bäume war die im Fackelschein schimmernde Stadtmauer zu sehen. Die Schatten von Wächtern auf der Brustwehr hoben sich ab. Ansonsten herrschte die Stille der Nacht, und nur die Wolken bewegten sich und huschten wie Phantome am breiten Antlitz des Vollmonds vorbei.
Da brach die Stille …
Schritte – von mehr als einer Person – erschallten auf dem Kopfsteinpflaster der Straße, die vom Tor wegführte. Sendes richtete sich auf, krallte die Nägel einer Hand stützend in die Rinde eines Baumes und umklammerte mit der Rechten den Schwertgriff. Tropfen fielen auf sein blondes Haar, ungehalten schüttelte er den Kopf. Eine klamme Kälte rann ihm über den Rücken und er krümmte die Zehen in den Stiefeln.
Ja, es waren zwei Personen, ihre grauen Umhänge flatterten im Wind – zwei Frauen. Und sie kamen der Stelle immer näher, wo Sendes wartete …
Mit dem Schwert in der Hand, dessen blanke Klinge im Regen glitzerte.
Er atmete tief, als ihm bewusst wurde, dass er den Atem angehalten hatte, und nie zuvor hatte der würzige Duft eines regengewaschenen Waldes seine Sinne so belebt wie heute Nacht in diesem Hain, während er darauf wartete, eine Zauberin zu töten, die ihm böse mitgespielt hatte.
Die Schritte klangen näher. Der Wind heulte. Nun konnte Sendes im düsteren Mondschein die Gesichter erkennen.
Sie war eingeschlafen! Mitra verdammt! Zur Hölle mit allen Göttern, die zugelassen hatten, dass sie einschlief! War sie wirklich so müde gewesen? Sie hatte sich doch nicht sonderlich angestrengt …
Sonja beschleunigte den Schritt. Das Nordwesttor war noch weit, und die Glocken von Shadizar kündeten mit dröhnendem Schlag die mitternächtliche Stunde.
Die verdammten Götter, die sie hatten einschlafen lassen!
Sie hatte sich nur einen Becher Wein geleistet, dann war sie in ihre Kammer zurückgekehrt, um nachzusehen, ob Chost vielleicht zufällig dort war. Er war nicht. Um ihre Beine auszuruhen, hatte sie sich aufs Bett gesetzt und sich schließlich ganz ausgestreckt, ganz wach, wohlgemerkt!
Und dann war sie plötzlich, vor wenigen Augenblicken erst, wie aus einem Traum aufgewacht. Es war kein Alptraum gewesen, keine seltsamen Geisterbilder. Und doch …
Sonja war müde – benommen –, aber ganz sicher nicht vom Wein. Es war fast, als hätte etwas sie in Schlaf versetzt. Etwas im Wein? Etwas, das Areel geschickt hatte? Oder Kus?
Sie rannte schneller, Regenlachen spritzten unter ihren Stiefeln hoch, das Schwert rasselte an ihrer Seite. Sie überquerte Straßen, bog um Ecken, hastete durch Gassen.
Die verdammten Götter! Der verdammte Sendes, dieser junge Dummkopf!
»Mädchen«, murmelte Areel und lauschte in den Wind. »Ich spüre keine Zauberei hier. Aber etwas stimmt nicht …«
»Areel!«
Sie drehte sich um. Ihre Augen glühten gelb in der Dunkelheit, ihr Umhang flatterte langsam hoch wie ein Schattennetz, das das feuchte Mondlicht einfangen wollte.
Sendes war eine Stimme und eine plötzliche Bewegung. Nur sein Gesicht zeigte sich einen Augenblick verschwommen grau in den Schatten – und sein Schwert blitzte silbern im Unterholz.
Lera schrie und sprang zurück. »Sendes!« rief sie unwillkürlich.
Areel zischte. Mit dem erhobenen Schwert stürmte Sendes auf sie ein.
»Hexe! Für deine Heimtücke!«
Irgendwie, mit anmutiger Geschmeidigkeit, wich Areel dem heftigen Hieb aus. Herumwirbelnd deutete sie mit einem Arm auf den Corinthier und rief ein paar Worte in einer fremdartigen Sprache. Ihre ausgestreckte Hand leuchtete gespenstisch auf, als wäre sie weißglühend. Als Sendes’ Schwert erneut zustieß, riss sie den Arm hoch – und Sendes schrie gellend.
Lera, die in ihrer Angst gestolpert und gefallen war, warf eine Hand vor den Mund, zog die Beine an und versuchte zurückzuweichen. Obgleich sie inzwischen schon allerlei Ungewöhnliches erlebt hatte, glaubte sie ihren Augen nicht trauen zu können.
Wie abgeschnitten verstummte Sendes’ Schrei. Areel zischte wie eine Schlange, als ihre Rechte einen weißglühenden Blitz auf des Corinthiers Brust schleuderte. Das herrenlose Schwert sprang durch die Luft und
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