Endless: Roman (German Edition)
sich so davon angezogen fühlte. Irgendetwas daran störte sie. Mannette. Sie war sicher, dass sie das Wort schon einmal gehört oder gelesen hatte.
»Vielleicht«, schlug sie vor, »sollten wir uns das Buch einfach mal anschauen. Es ist ja möglich, dass dein Vater nach dem Tod deiner Mutter etwas damit gemacht hat – es irgendwie mit einem okkulten Element verändert hat oder so. Und manche Leute – wie Bruder Henrique – wussten davon, während andere keine Ahnung hatten, so dass es letztendlich ausgestellt wurde. Schließlich ist die katholische Kirche auch nur eine bürokratische Organisation.« Die ungerechterweise Leute feuerte, wie jedes andere Unternehmen, dachte sie, sprach es aber nicht aus. »Da kann auch nicht jeder Angestellte jedes Detail wissen. Wo ist es denn überhaupt?«
Lucien sah sie erschreckt an. »Wo ist was?«
»Das Buch deiner Mutter«, sagte sie ruhig. Allerdings riss ihr allmählich der Geduldsfaden. Sie bekam es mehr und mehr mit der Angst zu tun. Das ständige Plätschern des Wassers machte sie so nervös, dass sie am liebsten geschrien hätte.
»Das möchte ich auch gerne wissen«, antwortete Lucien. »Und deshalb möchte ich deinen Freund Alaric Wulf finden.«
»Alaric?« Meena schüttelte den Kopf. »Warum sollte Alaric wissen, wo dein Buch ist? Mary Lou hat es doch gestohlen. Ich habe sie doch gesehen. Alle sind hinter ihr hergerannt.«
»Ja«, sagte Lucien, »alle sind hinter Mary Lou hergejagt. Aber nur einer hat sie eingeholt und ihr die Tasche weggerissen, bevor es ihr gelang zu entkommen. Und in der Tasche war das Stundenbuch meiner Mutter.«
Meena starrte Lucien mit wachsendem Entsetzen an. Sie erinnerte sich an Mary Lous Tasche. Sie hatte die Form einer Pagode gehabt.
»Du meinst …« Sie brachte die Worte kaum heraus.
»Ja«, sagte er. »Dein Freund … Alaric.« Er betonte das Wort Freund wie einen Fluch.
»Alaric hatte aber keine Tasche bei sich, als wir gefangen genommen wurden«, wandte Meena ein.
»Nein«, sagte Lucien, »das stimmt. Emil fand die Tasche seiner Frau später, als er zum Metropolitan Museum of Art zurückkam, weil er dachte, dass sie wie durch ein Wunder im allgemeinen Aufruhr vielleicht fallengelassen worden war. Und er fand sie tatsächlich. Sie steckte im Abfalleimer einer Herrentoilette. Die Tasche war leer.«
»Aber«, gab Meena zu bedenken, »das würde ja bedeuten, dass Alaric das Buch bei sich gehabt hätte. Oder dass er es irgendwo im Museum versteckt hat …«
»Genau«, sagte Lucien. Er sah so wütend aus, dass seine Augen rot funkelten. Vielleicht bildete Meena es sich ja nur ein, doch ihr kam es so vor, als ob auch der Bach viel lauter geworden wäre. »Emil hat den ganzen Tag im Museum danach gesucht. Er hat nichts gefunden. Und Mary Lou hat das Hauptquartier der Geheimen Garde seit letzter Nacht ununterbrochen beobachtet. Sie sagt, sie haben kurz nach dir auch Alaric hineingeschleppt. Aber bis jetzt ist er noch nicht wieder herausgekommen.«
Meena klopfte das Herz plötzlich bis zum Hals.
»Alaric ist noch da drin«, sagte sie.
33
Alaric musste zum Glück die Lederhandschellen nicht durchkauen, wie er schon befürchtet hatte, sondern er konnte die Schnallen mit den Zähnen lösen, auch wenn es einige Zeit kostete und er seinen Körper in einer äußerst unbequemen Position verrenken musste.
Als er schließlich zu Boden fiel, musste er sich erst einmal eine Weile ausruhen. Er war hundemüde, dehydriert, hungrig und vor allem wütend.
Letzten Endes konnte er seine Gliedmaßen doch wieder spüren, und er erforschte den Heizkeller. Viel gab es nicht zu entdecken, aber er konnte aus dem Hahn des rostigen Waschbeckens in einer Ecke wenigstens ein wenig Wasser trinken. Danach überlegte er, wie er weiter vorgehen sollte.
Er hatte kein Handy, keinen Zugang zu einem Telefon, keine Schuhe, kein Hemd und keinen Gürtel. Er hatte keine Waffe, und die Tür zum Heizungskeller war wahrscheinlich nicht nur verschlossen, sondern auch bewacht.
Es gab keine Fenster und auch keinen sonstigen Ausgang aus dem Raum, abgesehen von einer kleinen verschlossenen Tür hinter dem lastwagengroßen Kessel, auf der ZUTRITT VERBOTEN stand.
Er hatte wirklich keine andere Wahl, als sie einzutreten.
Ansonsten konnte er sich nur noch wie eine Fledermaus an die Deckenrohre hängen, warten, bis jemand hereinkam, ihn niederschlagen und entkommen.
Allerdings war er sich ziemlich sicher, dass sie so etwas von ihm erwarteten und ihn gut bewaffnet
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