Endlich
Kein wohlmeinender Freund, der einem alles Gute wünscht, lässt die kämpferische Redensart aus: Das packst du. Selbst in den Nachrufen auf Krebsverlierer steht es, als könne man vernünftigerweise von jemandem sagen, er sei nach einem langen und tapferen Kampf gegen die Sterblichkeit nun tot. Man hört so etwas nicht bei Menschen, die lange an einer Herzkrankheit oder an Nierenversagen gelitten haben.
Ich persönlich liebe die Metaphorik des Kampfes. Ich wünschte, ich würde im Dienst einer guten Sache leiden oder mein Leben für andere aufs Spiel setzen, anstatt nur ein stark gefährdeter Patient zu sein. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Wenn Sie in einem Raum zusammen mit anderen Finalisten dasitzen und freundliche Leute bringen einen großen durchsichtigen Plastikbeutel voll Gift und schließen ihn mit einer Kanüle an Ihren Arm an, und Sie lesen in Ihrem Buch oder auch nicht, während das Toxin sich langsam in ihren Organismus entleert – dann ist das Bild des tapferen Soldaten oder Revolutionärs das Allerletzte, was Ihnen einfallen wird. Sie fühlen sich überwältigt von Passivität und Ohnmacht – Sie lösen sich in Machtlosigkeit auf wie ein Stück Würfelzucker im Wasser.
*
Dieses Chemogift ist schon was Besonderes. Ich habe seinetwegen etwa vierzehn Pfund verloren, allerdings ohne dass ich mich irgendwie leichter gefühlt hätte. Es hat einen gemeinen Ausschlag an meinen Schienbeinen geheilt, den kein Doktor je recht benennen, geschweige denn kurieren konnte. (Muss schon was sein, dieses Gift, dass diese wilden roten Punkte kampflos verschwunden sind.) Möge es – bitte! – ebenso gnadenlos mit dem Alien und seinen wachsenden kolonialen Todeszonen verfahren. Andererseits muss man erwähnen, dass diese todverbreitende, lebensbewahrende Substanz mich auch zu einem merkwürdigen Neutrum macht. Mit dem Verlust meines Haares hatte ich mich abgefunden, das mir in den ersten zwei Wochen unter der Dusche ausfiel und das ich in einer Plastiktüte sammelte, damit es als Füllung eines schwimmenden Dammes in Mexiko Verwendung finden könne. Aber ich war eigentlich nicht darauf vorbereitet, dass die Rasierklinge plötzlich unverrichteter Dinge über mein Gesicht glitt, auf dem es keine Bartstoppeln mehr gab; nicht auf meine nunmehr glatte Oberlippe, die aussah, als hätte ich eine elektrische Epilation hinter mir, und mich wirken ließ wie irgendjemandes jungfräuliche alte Tante. (Meine Brustbehaarung, die Sensation zweier Kontinente, ist noch nicht eingeknickt, aber es wurden derartige Mengen bei diversen Einschnitten des Hospitals abrasiert, dass sie einen einigermaßen lückenhaften Anblick bietet.) Ich komme mir beunruhigend denaturiert vor. Wenn sich unter den Krankenschwestern Penelope Cruz befände, ich würde es nicht bemerken. Im Krieg gegen Thanatos – wenn wir es denn unbedingt einen Krieg nennen müssen – ist der sogleich eintretende Verlust des Eros ein großes Anfangsopfer.
Das wären meine ersten grobschlächtigen Reaktionen darauf, dass ich befallen bin. Ich nehme mir im Stillen vor, körperlichen Widerstand zu leisten, so gut ich es vermag, wenn auch nur passiv, und den besten Rat einzuholen. Mein Herz, mein Blutdruck und viele andere Werte sind wieder kräftig. Tatsächlich fällt mir nun ein, dass ich ohne eine so starke Konstitution wahrscheinlich ein viel gesünderes Leben geführt hätte. Gegen mich ist der blinde, fühllose Alien angetreten, bejubelt von einigen Leuten, die mir schon längst Übles gewünscht haben. Doch auf der Seite meines fortdauernden Lebens findet sich ein Team brillanter und selbstloser Ärzte und dazu eine erstaunlich große Zahl von Gebetsgruppen. Von diesen beiden hoffe ich das nächste Mal zu erzählen, wenn – wie mein Vater unweigerlich zu sagen pflegte – ich noch da bin.
II
Als ich den Tumor in meiner Speiseröhre als »blinden, fühllosen Alien« beschrieb, da konnte offenbar nicht einmal ich vermeiden, ihm Züge eines lebenden Wesens zu geben. Das ist, wie man weiß, ein Trugschluss – ein Beispiel für die sogenannte pathetic fallacy , die uns (zornige Wolke, stolzer Bergesgipfel, überheblicher kleiner Beaujolais) dazu bringt, unbelebten Dingen Züge innerer Bewegtheit zuzuschreiben. Um zu existieren, benötigt der Krebs einen lebenden Organismus, doch ein Krebs kann nie ein lebender Organismus werden. Seine ganze Bosheit – schon wieder! – liegt in dem Umstand beschlossen, dass er sein Bestes getan hat, wenn er mit dem Wirt stirbt.
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