Endlich
gesundheitliche Chancen hatte. Doch sie erbrachte eine kleine, aber interessante negative Korrelation insofern, als manche Patienten noch ein wenig mehr litten, wenn keine Besserung eintrat. Dann hatten sie nämlich das Gefühl, ihre gebetsgläubigen Unterstützer im Stich gelassen zu haben. Und solche Gefühle sind beim Überleben ein weiterer nicht quantifizierbarer Faktor. Das begreife ich jetzt besser als damals, als ich zuerst darüber las. Eine enorme Zahl säkularer und atheistischer Freunde haben mir ermutigende, schmeichelhafte Dinge gesagt: »Wenn es überhaupt einer schaffen kann, dann du«; »Der Krebs hat keine Chance gegen einen wie dich«; »Wir wissen, dass du das besiegen kannst.« An bösen Tagen und selbst an den besseren können solche Ermunterungen etwas irgendwie Deprimierendes haben. Wenn ich abreise, dann enttäusche ich alle diese Genossen. Ein weiteres Problem für den Ungläubigen fiel mir ein: Was, wenn ich durchkäme, und die fromme Fraktion würde zufrieden behaupten, ihre Gebete seien erhört worden? Das wäre schon irritierend.
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Den besten der Gläubigen habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben. Dr. Francis Collins ist einer der größten lebenden Amerikaner. Er ist der Mann, der das Projekt zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms vor dem geplanten Termin und mit geringeren Kosten als erwartet zum Abschluss gebracht hat und der nun die National Institutes of Health leitet. Mit seiner Arbeit über die genetischen Ursprünge verschiedener organischer Defekte half er die »Druckfehler« zu decodieren, die solche Kalamitäten wie die Huntingtonsche Krankheit oder die Mukoviszidose verursachen. Er arbeitet augenblicklich über die erstaunlichen Heilungsmöglichkeiten, die mit dem Gebrauch von Stammzellen und durch gezielte genetisch fundierte Behandlungen möglich sind. Dieser große Wohltäter der Menschheit ist ein Bewunderer der Schriften von C. S. Lewis und hat in seinem Buch Die Sprache Gottes dargelegt, dass die Ergebnisse der Naturwissenschaften und der Glaube durchaus vereinbar sind. (Der kleine Band enthält ein bewundernswert knapp zugespitztes Kapitel, das den Fundamentalisten mitteilt: Die Diskussion über die Evolutionstheorie ist abgeschlossen, hauptsächlich deshalb, weil der Fundamentalismus keine Argumente besitzt, mit denen sich diskutieren ließe.) Ich kenne Francis aus verschiedenen öffentlichen und privaten Debatten über Religion. Er war so lieb, mich zu besuchen und alle möglichen neuen Therapien (die erst seit kurzer Zeit überhaupt vorstellbar sind) mit mir zu besprechen, die vielleicht in meinem Fall anzuwenden wären. Und ich möchte es so formulieren: Er hat nichts vom Beten gesagt, und ich habe ihn meinerseits nicht mit Lewis’ Dienstanweisung an einen Unterteufel aufgezogen. Also beten diejenigen, die ersehnen, ich möge in Qualen sterben, tatsächlich darum, dass die Anstrengungen unseres selbstlosesten christlichen Arztes vergeblich sein sollen. Wer ist denn Dr. Collins, dass er sich dem göttlichen Plan in den Weg stellen will? Auf ähnliche Weise verhöhnen die, welche mich in der Hölle brennen sehen möchten, die freundlichen religiösen Menschen, die mich nicht unrettbar böse finden. Ich überlasse diese Paradoxa jenen – Freunden und Feinden –, die immer noch das Übernatürliche verehren.
Beim Verfolgen der Gebetsaktion durch das Labyrinth des Internet stieß ich schließlich auf ein bizarres »Wetten Sie drauf«-Video. Hier wird man eingeladen, Geld darauf zu setzen, ob ich bis zu einem gewissen Zeitpunkt meinem Atheismus entsage und religiös werde – oder aber weiter den Unglauben verkünden und die höllischen Konsequenzen ziehen werde. Das ist vielleicht nicht ganz so billig-schäbig, wie es sich anhört. Einer der klügsten Verteidiger des Christentums, Pascal, hat die Grundfrage schon im siebzehnten Jahrhundert als Wette formuliert. Glaube an den Allmächtigen, und du kannst alles gewinnen. Lehne das himmlische Angebot ab, und du verlierst alles, wenn die Münze tatsächlich auf die andere Seite fallen sollte. Die Philosophiegeschichte nennt das die Pascalsche Wette.
So ingeniös dieses Raisonnement sein mag (Pascal war einer der Begründer der Wahrscheinlichkeitstheorie), der Philosoph setzt sowohl einen zynischen Gott wie einen ganz und gar opportunistischen Menschen voraus. Wie wäre das denn, wenn ich die Prinzipien eines langen Lebens plötzlich fallen ließe – in der Hoffnung, mich in letzter Minute noch auf die richtige
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