Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
analysiert – die guten und die schwachen, die Siege, Remis und Niederlagen –, doch erstaunlicherweise blieb der Verlauf der zweiten Partie zwischen Fischer und Euwe unveröffentlicht, die Schachpresse brachte nichts über sie.
Regina Fischer wurde von der Presse gerne als voll berufstätige Frau hingestellt, die Bobby mehr oder weniger allein aufwachsen ließ. In Wirklichkeit war sie aber eine liebevolle, fürsorgliche Mutter, die ihren Sohn liebte und um sein Wohl besorgt war. Ganz allein zog sie zwei Kinder groß und lernte gleichzeitig einen Beruf – kein Wunder, dass sie nicht viel Zeit für Bobby und nur wenig Geld für die Erfüllung seiner Wünsche hatte. Ein Autor behauptete gar, Bobby und Regina hätten mehr als 30 Jahre lang nicht miteinander geredet. Das ist schlicht falsch. Mutter und Sohn blieben immer in Kontakt, auch nachdem Regina wieder geheiratet hatte und nach Europa gezogen war, um ihr Medizinstudium abzuschließen (Bobby war damals in seinen Zwanzigern). Bobby und Regina korrespondierten ihr ganzes Leben lang, telefonierten und schickten sich Geschenke. Sie liebten einander, auch wenn sie durch Kontinente voneinander getrennt waren.
In den meisten Biografien wird der springende Punkt nicht herausgearbeitet: In der Familie Fischer war Geld äußerst knapp, man lebte fast in Armut. Bei jeder Entscheidung darüber, an welchem Turnier Bobby teilnehmen, wo er spielen, selbst welche Schachbücher und -zeitschriften er kaufen sollte, ging es letztlich um Geld. In den Anfangsjahren seiner Karriere, in den 1950ern und 1960ern, schmerzte selbst eine Ausgabe von fünf Dollar. Gut möglich, dass diese Armut Bobbys oft kritisierte »Habgier« auslöste, die er später an den Tag legte. Während seines Aufstiegs die Schachleiter hinauf schrieb Bobby einmal: »Viele Leute glauben irrtümlicherweise, irgendeine Schachorganisation übernehme schon meine Reisekosten und meine Ausgaben für Schachliteratur. Das wäre schön, beziehungsweise das wäre schön gewesen, doch dem war nicht so. Ich habe keinerlei finanzielle Unterstützung bekommen.«
Doch Regina sorgte sich mit der Zeit weniger um die Finanzen der Familie als um Bobbys geistige Gesundheit. Sie schleppte Bobby nicht nur, wie bereits geschildert, zu Psychologen und Psychiatern, sie versuchte auch unablässig, Bobby von seiner einseitigen Fixierung auf Schach abzubringen. Sie ermunterte ihn, zu kulturellen Veranstaltungen zu gehen, Sport zu treiben, andere Kinder zu treffen, zu lesen und sich in der Schule zu engagieren. Es freute sie, dass Bobby beim Schach Selbstbestätigung fand. Aber sie sorgte sich, weil seinem Leben die Balance fehlte. Sie fürchtete, seine totale Konzentration auf das Schach sei ungesund.
1956 schrieb Dr. Reuben Fine, einer der weltbesten Schachspieler der 1930er und 40er, eine Monografie mit dem Titel Psychoanalytic Observation on Chess and Chess Masters , die als Band 3 von Psychoanalysis veröffentlicht wurde, einer Zeitschrift für psychoanalytische Psychologie. Später kam die Monografie auch als eigenständiges, 74-seitiges Buch heraus, in einem Umschlag aus roten und weißen Quadraten. Viele Schachspieler, die sich die Mühe gemacht hatten, es zu lesen, reagierten skeptisch oder gar verärgert. Regina Fischer kaufte ein Exemplar und arbeitete es durch. Jahre später tauchte das Buch in Bobby Fischers Bibliothek auf, doch ob er es je gelesen hat, ist unbekannt.
Dr. Fine, ein eingeschworener Freudianer (später schrieb er zwei ausführliche Studien zu Freuds Theorien und eine Geschichte der Psychoanalyse), vertrat die Ansicht, dass Schach symbolischer Ausdruck der Libido sei und ödipale Bedeutung habe: »Der König steht für den Penis des Jungen im phallischen Stadium, das Selbstbild des Mannes und für den Vater, der auf die Größe des Sohnes gekappt wurde.«
Ein Kapitel widmete Fine den Psychosen von vier Schach-Meistern, herausgepickt aus den Millionen Spielern, die Schach über Jahrzehnte ernsthaft betrieben. Mit dieser Auswahl provozierte Dr. Fine heftige Kritik. Man warf ihm vor, er erwecke den Eindruck, alle Schachspieler seien verrückt.
Regina aber setzte große Hoffnungen in das Buch. Vielleicht konnte Dr. Fine – immerhin Internationaler Großmeister und ehemaliger Weltmeisterschaftskandidat – ja Bobby davon überzeugen, seine sklavische Hingabe an das Spiel abzumildern, sich stärker auf die Schule zu konzentrieren, später auf eine gute Uni zu gehen und sich schließlich eine echte Arbeit
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