Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
durchgeplant und vorausgesehen. Bobby zeigte kaum Emotionen, er saß ganz still und hoch konzentriert da, wie ein kleiner Buddha, und machte einen aufsehenerregenden Zug nach dem nächsten.
Beim 41. Zug, nach fünf Stunden Spielzeit, nahm Bobby mit pochendem Herzen und zittriger Hand seinen Springer, zog ihn und sagte: »Schachmatt«. Byrne erhob sich und reichte ihm anerkennend die Hand. Beide lächelten. Byrne wusste, dass er zwar den Kürzeren gezogen hatte, aber in einer der grandiosesten Schachpartien aller Zeiten. So war auch er Teil der Schachgeschichte geworden. Einige Zuschauer klatschten, sehr zum Ärger derjenigen Turnierteilnehmer, deren Partien noch liefen. Ihnen war egal, dass nur wenige Meter entfernt gerade Schachgeschichte geschrieben worden war. Sie hatten an ihren eigenen Partien zu knabbern. » Psst! Ruhe! « Es war Mitternacht.
Der Schiedsrichter des Abends, Hans Kmoch, ein starker Spieler und international anerkannter Theoretiker, nannte die Partie später die »Partie des Jahrhunderts«:
Ein erstaunliches Meisterstück des Kombinationsspiels, abgeliefert von einem 13-jährigen Jungen gegen einen formidablen Gegner. Kein Schach-Wunderkind hat je Größeres geleistet … Bobby Fischers [Auftritt] glänzte durch umwerfende Originalität.
Bobbys Partie wurde in Zeitungen und Schachzeitschriften in aller Welt abgedruckt. Der Internationale Großmeister Juri Awerbach merkte auf, genau wie all seine Kollegen in der Sowjetunion. »Als ich mir die Partie angesehen hatte, wusste ich, dass der Junge teuflisch talentiert ist.« Die britische Zeitschrift Chess gab ihre übliche Zurückhaltung auf und nannte Bobbys Spiel »tiefschürfend und brillant«. Chess Life sprach von einem »fantastischen« Sieg.
»Die Partie des Jahrhunderts« wird seit über 50 Jahren besprochen, analysiert und bewundert, und wahrscheinlich wird sie noch viele Jahre zum Schachkanon gehören. Und zwar nicht deswegen, weil Bobby für einen 13-Jährigen brillant spielte, sondern weil er brillant spielte, Punktum! Bobby selbst äußerte sich erfrischend bescheiden: »Ich machte nur die Züge, die mir am besten erschienen. Ich hatte nur Glück.«
In der gesamten Schachgeschichte reicht vielleicht nur ein einziges anderes Ereignis an jenen New Yorker Abend heran: eine Partie in Breslau, 1912, als der Amerikaner Frank Marshall ebenfalls durch ein brillantes Opfer den Sieg gegen Stepan Lewizki errang. Der Legende zufolge ließen die Zuschauer nach Ende jener Partie Gold auf das Schachbrett regnen.
Auch David Lawson, ein 70-jähriger Amerikaner, dessen Akzent seine schottische Herkunft verriet, sah an jenem Abend zu. Vor dem Beginn der Partie lud er Regina und Bobby für hinterher zum Abendessen ein. Lawson war ein kleiner Mann und ein Sammler von Schach-Souvenirs. Besonders interessierte er sich für den (ebenfalls) klein gewachsenen Paul Morphy, den ersten – inoffiziellen – amerikanischen Schachweltmeister. Lawson sah eine Parallele zwischen Morphy, der ebenfalls als Wunderkind aufgefallen war, und Fischer. Mit seiner Einladung verfolgte Lawson einen Hintergedanken: Er erhoffte sich ein von Bobby ausgefülltes Partieformular für seine Sammlung. Dass es von der Partie Byrne-Fischer kommen würde, war allerdings reiner Zufall. Wie hätte er auch wissen können, dass die Partie zu einer der denkwürdigsten in der mehr als tausendjährigen Schachgeschichte werden sollte?
Für die Abendeinladung hatte Lawson das deutsche Restaurant Luchow’s ausgesucht. Sieben Jahre zuvor hatte die Familie Fischer im Haus direkt gegenüber gewohnt, aber nicht einmal davon träumen können, dort zu essen. Aufgrund der späten Stunde war die Küche dort allerdings schon geschlossen, und so zog das Trio weiter, zur durchgehend geöffneten Waldorf Cafeteria an der Sixth Avenue. Hier trafen sich die Künstler, Schriftsteller und Hilfsarbeiter des Greenwich Village.
Wie Lawson letztlich an das Partieformular kam, bleibt unklar. Bei wichtigen Turnieren wird ein Durchschlag von den Partieformularen gemacht, das Original geht an den Schiedsrichter oder die Turnierleitung, nur für den Fall, dass es später zu Streitigkeiten kommen sollte. Den Durchschlag behält der Spieler. Bobby trennte sich erst viele Jahre später davon, tatsächlich fischte er den gefalteten und leicht mitgenommenen Zettel immer wieder gern aus seiner Tasche und zeigte ihn seinen Bewunderern. Doch was passierte mit dem Original?
Hans Kmoch, der Schiedsrichter, hatte schon vor
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