Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
zu suchen.
Regina überredete Dr. Fine, Bobby auf einen Schachabend einzuladen. Bobby wusste natürlich, wer Dr. Fine war; er hatte seine Partien nachgespielt und einige seiner Schachbücher gelesen. Aber er roch den Braten und verbat sich, psychologisch untersucht zu werden. Dr. Fine beruhigte ihn, er wolle einfach nur ein paar Partien gegen Bobby spielen.
Reuben Fine war kein Therapeut im eigentlichen Sinn, er war aber ein anerkannter Psychoanalytiker. Seiner Theorie nach wurzelten die Probleme vieler Patienten in verdrängten Traumata. Durch freie Assoziation und die Interpretation von Träumen, glaubte Dr. Fine, ließe sich der Schlüssel zu diesen Problemen finden. Eine Therapie zog sich in der Regel jahrelang hin und begann mit ersten Kindheitserinnerungen oder, wenn möglich, Erinnerungen aus der Zeit in utero .
Dr. Fines Praxis lag in einer riesigen Wohnung an Manhattans Upper West Side. In einem Flügel befand sich der Privatbereich, in dem Dr. Fine mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebte. Der andere Teil bestand aus einem Analysezimmer mit freudscher Couch und einem angrenzenden Gruppenraum. Patienten mussten mindestens eine Analysesitzung pro Woche absolvieren, zu 55 Dollar. Manche nahmen abends an Gruppentreffen teil. Fine saß dann schweigend eine Stunde dabei und beobachtete, wie die Teilnehmer interagierten. In der zweiten und letzten Stunde verließ er den Raum, und die Gruppe machte allein weiter. Wenn die Patienten das nächste Mal zur Analyse kamen, besprach Dr. Fine diese Treffen kurz mit ihnen. In Bobbys Fall plante Dr. Fine, zuerst über das Schach das Vertrauen des Jungen zu gewinnen und dann mit klassischer freudscher Analyse und Gruppensitzungen zu beginnen.
Damit Bobby nicht das Gefühl bekam, er würde analysiert, lud Dr. Fine ihn in den privaten Teil seiner Wohnung ein. Bobby traf Dr. Fines Frau Marcia und ihre Kinder, dann spielten Bobby und Fine ein, zwei Stunden Schach. Der Psychoanalytiker gehörte damals zu den schnellsten Spielern des Landes und war – immerhin ein ehemaliger Weltmeisterschaftskandidat – vielleicht noch eine Hausnummer zu groß für Bobby. Dr. Fine schrieb später, Bobby »war noch kein starker Gegner. Meine Familie erinnert sich noch, wie wütend er nach jedem Besuch heimging. Er grummelte, ich hätte nur ›Glück‹ gehabt.«
Nach sechs Schachabenden glaubte Dr. Fine, einen Draht zu dem Jungen gefunden zu haben. Beiläufig erkundigte er sich, was Bobby denn in der Schule so treibe. Der Junge sprang auf: Er hatte den Plan sofort durchschaut. »Sie haben mich hereingelegt!«, schimpfte er, verließ die Wohnung und kam nie wieder. Dr. Fine erzählte später, Bobby habe ihn nach dieser Episode jedes Mal mit einem finsteren Blick bedacht, wenn die zwei sich im Schachclub oder bei einem Turnier trafen. »Als hätte ich ihm unendliches Leid zugefügt, indem ich versuchte, ihm ein wenig näher zu kommen.«
Es mag zwar etwas dran sein, dass Bobby auf den Versuch des Psychoanalytikers allergisch reagierte, ihm »näher zu kommen« und in seinem Unterbewussten zu stöbern. Doch der Hauptgrund, warum Bobby nie wieder mit ihm redete, lag darin, dass Dr. Fine versucht hatte, Bobby zu hintergehen . Angeberisch schrieb Fine: »Welche Ironie der Geschichte, dass von den zwei führenden amerikanischen Schachmeistern des 20. Jahrhunderts einer beinahe der Analytiker des anderen geworden wäre.« Wohl kaum .
Bobby selbst hingegen fand nicht, dass etwas an ihm nicht stimmte. Im Schachclub und auf Turnieren verhielt er sich für einen 13-Jährigen normal; meistens fiel er kaum auf, er redete nur gelegentlich, wie viele Teenager, zu laut, bewegte sich ein wenig ungelenk, vernachlässigte sein Äußeres und war am Brett unentwegt zappelig. Doch nichts an seinem damaligen Verhalten deutete auf ernsthafte psychische Probleme oder eine fortgeschrittene Neurose hin.
Vielleicht brachte erst Dr. Fines Monografie die Presse auf die Idee, Schachspieler seien nicht ganz dicht. Auf jeden Fall suchten Reporter, wann immer sie über Schach berichteten, nach Schrulligkeiten der Spieler. Auch Bobby fand sich oft völlig falsch wiedergegeben. Bei Interviews stellte man ihm oft herablassende oder beleidigende Fragen (»Warum hast du noch keine Freundin?« oder »Spinnen alle Schachspieler?«), und Bobby merkte, dass der Reporter seine Antworten so hindrehen würde, dass Bobby seltsam erschien. »Fragen Sie mich was Gewöhnliches«, forderte er einen Reporter einmal auf, »anstatt mich
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