Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
als ungewöhnlich hinzustellen.« Einem anderen gegenüber klagte er einmal: »[Zeitungsleute] schreiben gemeine Geschichten über mich. Sie behaupten, ich sei blöd und könne nichts anderes als Schach spielen. Das stimmt nicht.«
Der Hintergrund: Einige Artikel hatten Bobby als Fachidioten hingestellt, mit Betonung auf dem zweiten Teil. Chess Life protestierte daraufhin gegen den Mangel an Respekt gegenüber Bobby, nannte verunglimpfende Artikel »Anti-Fischer-Hetze« und erklärte sie zu »völligem Unfug«.
Freilich, Bobby war vom Schach besessen und konnte stundenlang spielen oder Theorie studieren. Aber musikalische Wunderkinder üben wahrscheinlich auch nicht weniger. Und er hatte ja andere Interessen, zum Beispiel Sport. Er sah sich so viele Hockeyspiele an, wie er nur konnte, spielte Tennis, fuhr Ski, schwamm und spielte in einem Tischtennisclub. Auch für Naturwissenschaften interessierte er sich. Für Hypnose und prähistorische Tiere hatte er allerdings nichts übrig, auch wenn einige Artikel das behaupteten.
Einige Menschen in Bobbys Umfeld ließen sich von den Verleumdungen allerdings beeinflussen. Ein paar Spieler im Schachclub Manhattan begannen zu grollen, Bobby sei »meschugge«, nicht ganz dicht. Andere im Club jedoch fanden ein anderes jiddisches Wort für ihn: »gaon«, Genie.
Unbeirrt von allen Sticheleien spielte Bobby weiter, und zwar fantastisch erfolgreich. In dem einen Jahr zwischen 1956 und 1957 schoß Bobbys offizielle Wertungszahl durch die Decke. Im Alter von gerade einmal 14 Jahren galt er offiziell als Schach-Meister. Das hatte in Amerika noch keiner geschafft. Nach den Regeln des amerikanischen Schachbunds durfte Bobby jetzt nicht mehr auf Amateurturnieren antreten. Das passte Bobby, der immer gegen möglichst starke Kontrahenten spielen wollte, um sich weiter zu verbessern. Jedes Mal, wenn er einen Spieler mit höherer Wertungszahl besiegte, stieg seine eigene.
Im Juli, vier Monate nach dem Match gegen Dr. Euwe, fuhr er zur amerikanischen Juniorenmeisterschaft nach San Francisco. Er gewann das Turnier, zum zweiten Mal hintereinander. Für jeden dieser Titel hatte er eine Schreibmaschine bekommen, einen Pokal und eine Urkunde. Da er nun zwei Schreibmaschinen besaß, beschloss er, sich mit Hilfe eines Lehrbuchs das Zehnfingersystem beizubringen. Er überklebte die Tasten, um Schummeln unmöglich zu machen, legte die Finger in die Ausgangsposition, tippte los und überprüfte, was er da so geschrieben hatte. Schon bald wusste er, wo alle Tasten lagen – er hatte ja nie ein Problem damit gehabt, sich etwas zu merken –, doch er lernte nie, richtig flüssig blind zu schreiben.
In dieses Jahr fiel auch sein erster Sieg gegen einen Großmeister: Bei einem Schaukampf im Schachclub Manhattan schlug er Samuel Reshevsky. Später spielte Bobby die Bedeutung des Sieges allerdings herunter: Reshevsky habe mit verbundenen Augen gespielt, Bobby nicht, und die Bedenkzeit sei auf zehn Sekunden pro Zug begrenzt gewesen.
Anstatt nach der Juniorenmeisterschaft in San Francisco nach Brooklyn heimzufahren und dann gleich wieder zur American Open nach Cleveland zu reisen, blieb Bobby drei Wochen an der Westküste – Zeit zum Ausruhen, Schachspielen und Besichtigen. Gemeinsam mit ein paar anderen Jungen, die am Juniorenturnier teilgenommen hatten, fuhr er nach Los Angeles und Long Beach, wo er im Haus der Schachspielerin und Unternehmerin Lina Grumette wohnte und in ihrem Pool schwamm. Grumette war eine elegante PR-Frau, die zu Hause einen regelmäßig stattfindenden Schachsalon unterhielt, für den die Spieler Eintritt bezahlten. In den 1940ern hatte sie zu den stärksten Spielerinnen Amerikas gehört. Sie entwickelte ein mütterliches Interesse für Bobby, und die Freundschaft der beiden sollte ein Leben lang halten (was bei Bobby selten genug vorkam). Auch in seiner Karriere sollte sie noch eine wichtige Rolle spielen.
Nach der dreiwöchigen Auszeit liehen sich die Nachwuchsspieler von Guthrie McClain, dem Herausgeber des California Chess Reporter , eine Klapperkiste . Da die meisten noch zu jung für den Führerschein waren, setzte sich der 24-jährige William G. Addison hinter das Steuer. Auf der Fahrt Richtung Cleveland ging der Wagen mehrmals kaputt, dann mussten alle für die Reparatur zusammenlegen. Als sie ohne Klimaanlage durch die Wüste fuhren, brachen kleinere Streitigkeiten aus. Bobby und Gilbert Ramirez, der Zweite der Juniorenmeisterschaft, prügelten sich sogar; schließlich
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