Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
sich das Rosenwald-Turnier und der große Weihnachtskongress im englischen Hastings überschnitten, jenes jährlich stattfindende internationale Turnier, bei dem im Laufe der Jahre einige der größten Schachlegenden den ersten Preis errungen hatten. Bobby hatte eine Einladung erhalten und brannte darauf, sich dort in die erlesene Reihe von Siegern zu mischen. Die Reise nach England wäre seine erste Auslandsreise, Hastings sein erstes internationales Turnier. Er könnte dort gegen einige der weltbesten Spieler antreten.
Was tun?
Bobby besprach das Dilemma mit Regina und seinen Freunden im Club. Schließlich rang er sich zu einer Entscheidung durch. Die Jugend kennt weder Geduld noch ihre Grenzen: Letztlich konnte Bobby den Gedanken nicht ertragen, eine (winzige) Chance auszuschlagen, Weltmeister zu werden. Er sagte den Veranstaltern des Rosenwald zu.
Im Dezember, kurz vor Beginn des Turniers, prophezeite Bisguier: »Ich erwarte Bobby Fischer im oberen Mittelfeld. Vermutlich ist er der begabteste aller Turnierteilnehmer, allerdings fehlt ihm noch die Erfahrung mit so durchgängig stark besetzten Wettkämpfen.« Bisguiers Analyse schien logisch, allerdings hatte Bobby schon auf dem Rosenwald des Vorjahres Erfahrungen dieser Art sammeln können. Und bei vielen anderen Turnieren, die Bobby gespielt hatte, war vielleicht nicht die absolute Spitze Amerikas angetreten, aber doch die zweite Garde unmittelbar dahinter. In den Jahren 1956 und 1957 hatte Bobby auf etlichen hochkarätig besetzten Veranstaltungen Erfahrung gesammelt (1956 war er über 15 000 Kilometer von Turnier zu Turnier gereist) und dazwischen Theorie gepaukt.
Es schien fast, als könne man zusehen, wie er von Tag zu Tag stärker wurde. Jede Partie, die er spielte oder analysierte, lehrte ihn etwas. Er arbeitete unermüdlich an seinem Spiel, stellte Fragen und suchte Lösungen. In der U-Bahn saß er an seiner abgewetzten Taschengarnitur, beim Fernsehen, im Restaurant: Immer bewegten sich seine Finger, als hätten sie ein Eigenleben. Selbst beim Gehen dachte er über Schach nach.
Der New Yorker Winterwind blies Triebschnee durch die Bäume des Central Parks, als Bobby den Schachclub Manhattan betrat, um die erste Runde der amerikanischen Meisterschaft zu spielen. Ehrfürchtiges Raunen ging durchs Publikum. Einige Zuschauer riefen, »Da kommt Fischer!«, als hätte gerade Max Schmeling den Ring betreten.
Vielleicht würde Bisguier ja recht behalten: Das Teilnehmerfeld schien tatsächlich stärker als im Vorjahr. Spieler, die die Einladung 1956 noch abgelehnt hatten, kamen 1957 wegen der gestiegenen Bedeutung des Turniers gerne. Fast jeder der 14 Teilnehmer hoffte auf seine Chance, sich für das Interzonenturnier zu qualifizieren. Man munkelte, einige Spieler hätten sich auch gemeldet, um endlich einmal gegen Fischer antreten zu können. Hier bot sich die Gelegenheit, gegen eine zukünftige Legende zu spielen.
Bobby ging an sein Brett und warf einen verächtlichen Blick auf die Schachuhr. Sie sah aus wie zwei miteinander verbundene Wecker; an beiden Seiten befand sich je ein Drücker für jeden Spieler. Bobby mochte keine Schachuhren, weil sie zu viel Platz am Tisch wegnahmen. Außerdem musste man nach jedem Zug seinen Drücker betätigen, um seine eigene Uhr zu stoppen und die des Gegners in Gang zu setzen. Das kostete zwar nur Sekunden, schmerzte aber dennoch, wenn man unter Zeitdruck stand. Im Gegensatz dazu hatten die neuen BHB-Schachuhren aus Deutschland Knöpfe auf der Oberseite, die man viel schneller betätigen konnte. Man führte die Figur und konnte noch beim Zurückziehen der Hand auf den Knopf schlagen. Das sparte ein, zwei Sekunden. Uhren mit Drücker auf der Oberseite gestatteten schnelle, runde Bewegungen, und Bobby hatte sie schätzen gelernt. Doch bei der Meisterschaft 1957 musste er sich mit Schachuhren mit seitlichem Hebel abfinden.
Bobby startete mit einem Sieg gegen Arthur Federstein (sein erster Sieg gegen den vielversprechenden Nachwuchsspieler). Danach spielte er remis gegen Reshevsky, den Titelverteidiger. Nach dieser extrem intensiv geführten Partie brannte der 14-Jährige nur so vor Tatendurst. Niemand schien ihn aufhalten zu können, einmal gewann er volle fünf Partien hintereinander.
In der letzten Runde stieß Bobby auf den rundlichen Abe Turner, einen ewigen Theaterstudenten, der seinen größten Auftritt als Kandidat in Groucho Marx’ Fernsehsendung You Bet Your Life gehabt hatte. Turner spielte zwar auch im
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