Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
aber die Angst davor war ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme kaufte Regina ziemlich teure Lederumschläge für Bobbys russische Schachbücher, damit niemand sah, was er zum Beispiel in der U-Bahn las.
Eines Morgens, eine Woche nach seinem 15. Geburtstag, saß Bobby im Matheunterricht, als eine Nachricht vom Direktor kam. Bobby habe noch am gleichen Tag um 16.30 Uhr einen Auftritt in der Fernsehsendung I’ve Got a Secret . In der Sendung ging es darum, das »Geheimnis« eines Gastes zu erraten. Das Geheimnis bestand allerdings nicht darin, dass Bobby oder seine Mutter mit Kommunisten sympathisierten, sondern dass er Schachmeister der Vereinigten Staaten war. In der Sendung wirkte Bobby verängstigt. Er hielt eine nachgemachte Zeitung hoch, deren Schlagzeile schrie: STRATEGIE EINES TEENAGERS BESIEGT ALLE GEGNER. Als der Moderator verriet, dass »Mister X« aus Brooklyn komme, jubelte jemand im Publikum. Bobby strahlte. Ein Mitglied des Rateteams fragte, ob das, was er da Geheimes tat, Leute glücklich machte. Bobby antwortete scherzend: »Es machte mich glücklich.« Das Publikum – das in das Geheimnis eingeweiht war – lachte anerkennend. Das Rateteam biss sich an ihm die Zähne aus.
Entschlossen, Bobby nach Moskau zu bringen, hatte Regina die Produzenten der Sendung bedrängt, Bobby und seiner Schwester Joan ein Ticket nach Russland zu spendieren. Das FBI wusste von der geplanten Reise, vielleicht durch ein abgehörtes Telefonat. Es schickte daraufhin einen jugendlich wirkenden Undercover-Agenten zur Produktionsfirma von I’ve Got a Secret , der sich als Reporter einer Unizeitung ausgab. Der Beamte blieb während der gesamten Sendung, enthüllte seine wahre Identität aber nicht.
Einer der Sponsoren der Sendung war die belgische Fluglinie Sabena, die sich breitschlagen ließ, Bobby zwei Gratistickets zu spendieren. Bobby, der nichts von dem Coup ahnte, war begeistert, als er am Ende der Sendung zwei Rückflugscheine nach Russland überreicht bekam. So überwältigt war er von der bevorstehenden Reise in das Land seiner Träume, dass er auf dem Weg von der Bühne in jugendlicher Ungeschicklichkeit über ein Mikrofonkabel strauchelte, sich aber gerade noch fing. Nach Ende der Sendung rief das FBI sofort seinen Kontakt in Moskau an, um sicherzustellen, dass Bobbys Umtriebe auch jenseits des Eisernen Vorhangs beobachtet würden.
Im Schachclub Manhattan fragte jemand Bobby, was er denn mache, wenn man ihn in Moskau zu einem Staatsbankett einladen sollte. Ob er zu dem Anlass eine Krawatte anziehen würde? »Wenn ich Krawatte tragen muss, gehe ich nicht hin«, antwortete er ehrlich.
Bobbys erster Flug. In Belgien, der Heimat von Sabena, machten Bobby und Joan drei Tage Zwischenstopp und sahen sich in Brüssel die Expo 58 an, eine der größten Weltausstellungen aller Zeiten. In einem Brief an Jack Collins pries Bobby das 102 Meter hohe Atomium als »achtes Weltwunder«. Während die Belgier im Rahmen der Weltausstellung erstmals mit Coca-Cola Bekanntschaft machten, übertrieb Bobby es (von Joan unbemerkt) mit dem belgischen Bier und hatte am nächsten Morgen den ersten Kater seines Lebens. Trotzdem spielte er ein paar Sieben-Minuten-Partien gegen den hochgewachsenen und soignierten Grafen Albéric O’Kelly de Galway, einen Internationalen Großmeister. Bobby aß außerdem so viel Softeis – eine weitere Neuerung auf der Weltausstellung –, wie nur reinpasste. Nachdem sie sich ein paar Tage in Brüssel amüsiert hatten, waren die Geschwister Fischer bereit, weiterzuziehen. Vorher kam es aber noch zu einer peinlichen Szene: Bei der Ankunft hatte Bobby sich ziemlich rüde beim Hotelpersonal beschwert, weil er mit seiner Schwester das Zimmer teilen musste. Deshalb nahm der Hotelmanager ihn kurz vor der Abreise ins Gebet und tadelte ihn streng. Das Hotel habe das Zimmer freundlicherweise gratis zur Verfügung gestellt, obwohl es während der Weltausstellung bis unters Dach voll war. Doch Bobby ließ den Manager einfach stehen, ohne sich die Rüge fertig anzuhören.
Vor dem Start der Maschine nach Russland stopfte Bobby sich Watte in die Ohren, um den Druck im Innenohr (der ihn auf dem Flug von New York nach Brüssel gestört hatte) zu verringern und den Lärm der Triebwerke zu dämpfen, sodass er in Ruhe Varianten auf seiner Taschengarnitur spielen konnte.
Am Flughafen Moskau warteten Lew Abramow, der Leiter der sowjetischen Schachabteilung, und ein Führer von
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