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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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ihn hörte und verstand, kümmerte ihn nicht. Sie meldete die Beleidigung. Jahre später meinte Abramow, die Dolmetscherin habe »pig«, Schwein, mit »pork«, Schweinefleisch, verwechselt, und Bobby habe sich nur über die einseitige Karte eines Restaurants beschwert.
    In einer Postkarte an Collins schrieb Bobby: »Ich halte nichts von der russischen Gastfreundschaft, und ich mag die Leute nicht. Sie scheinen mich auch nicht zu mögen.« Unterwegs wurde die Karte von russischen Zensoren gelesen, und Bobbys Grantelei fand ihren Weg in die russische Presse. Bobbys Antrag auf Verlängerung des Visums wurde – verständlicherweise – abgelehnt. Damit begann sein lebenslanger, öffentlich ausgetragener Krieg gegen die Sowjetunion.
    Doch ganz unabhängig von Bobbys spezieller Situation wurde die Sowjetunion für alle amerikanischen Staatsbürger ein heißes Pflaster. Mitte Juli belagerte ein Mob von 100 000 durch die staatlich kontrollierte Presse aufgehetzten Sowjets die US-Botschaft in der Tschaikowski-Straße und verlangte den Abzug aller amerikanischen Truppen aus dem Libanon. Fensterscheiben gingen zu Bruch, vor dem Gebäude wurde eine Präsident-Eisenhower-Puppe in Brand gesteckt.
    So ernst war die Lage, dass Hans Gerhardt Fischer, Bobbys offizieller Vater, um Joans und Bobbys Leben fürchtete. Unter seinem südamerikanischen Namen Gerardo Fischer schrieb er Regina aus Chile einen besorgten Brief. Er jammerte, vielleicht seien die Kinder ja entführt worden, weil man nichts mehr von ihnen hörte. Er fragte Regina, was sie unternehmen wolle, um Joan und Bobby aus dem Land zu holen. Er fuhr fort, wenn er nicht bald etwas von ihr höre, würde er die Sache in die eigenen Hände nehmen. Allerdings, fügte er etwas mysteriös hinzu, wolle er sich nicht selbst in Schwierigkeiten bringen.
    Als Regina nicht mehr ein noch aus wusste, erhielt sie ein rettendes Telegramm vom jugoslawischen Schachbund. Darin hieß es, man werde Bobby und Joan nicht nur gerne empfangen, wenn sie frühzeitig zum Interzonenturnier anreisten, sondern auch Trainingspartien mit Topspielern arrangieren. Joan, die sich mit Bobby wegen seines Verhaltens in Moskau mehrmals gestritten hatte, begleitete ihn noch nach Belgrad, fuhr aber nach zwei Tagen weiter zu Freunden nach England. Der 15-jährige Bobby war ganz auf sich allein gestellt – aber nicht lange. Schachoffizielle, Spieler, Journalisten und Neugierige drängten sich um ihn, und nur wenige Stunden nach der Landung in Jugoslawien saß er an einem Brett und spielte Schach.
    In seinem ersten offiziellen Trainingsmatch auf europäischem Boden traf Bobby auf Milan Matulović, einen 23-jährigen Meister. Matulović wurde später in der Schachwelt berüchtigt dafür, gelegentlich eine Figur zu berühren, zu ziehen und dann – wenn er merkte, dass der Zug nichts taugte – wieder an ihren ursprünglichen Platz zu stellen, mit den Worten » j’adoube «, »ich rücke zurecht«. Nach den Regeln muss man diese Worte aber sagen, bevor man eine Figur berührt, die man nicht führen, sondern nur zurechtrücken will. Sagt man es nicht vorher, riskiert man die Disqualifikation. Außer im Fall des Zurechtrückens gilt immer die Regel »berührt-geführt«: Wenn man eine eigene Figur anfasst, muss man auch mit dieser ziehen. Matulović sagte so oft hinterher » j’adoube «, dass man ihm den Spitznamen »J’adoubović« gab. Bobby hingegen hielt sich strikt an die Regel und kündigte immer an, »j’adoube«, bevor er eine Figur berührte, um sie zurechtzurücken. Einmal soll er es sogar im Scherz gesagt haben, als er bei einem Turnier einen Zuschauer sanft zur Seite schieben musste.
    Bei seiner ersten Partie gegen Matulović ließ Bobby ihm seine Tricksereien durchgehen – und verlor. Daraufhin erklärte Bobby dem Jugoslawen, bei den restlichen drei Partien würde er keine Schwindel- j’adoube s mehr akzeptieren. Bobby gewann die zweite und die vierte Partie, die dritte endete remis. Das Match ging also mit 2½ zu 1½ an ihn. Beide Siege Bobbys waren hart erkämpft, er brauchte 50 Züge, bis der Gegner aufgab. Auch wenn Matulović es mit den Regeln nicht so genau nahm, war er doch einer der besten Spieler seines Landes. Bobby fand den Sieg sogar so wichtig, dass er Collins davon unterrichtete.
    Danach trat Bobby gegen einen der schillerndsten jugoslawischen Meister an, Dragoljub Janošević, einen Trinker, Frauenhelden und Zocker; einen Typen, der eher in die Halbwelt Brooklyns passte als in einen

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