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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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Anwesenden nacheinander Fünf-Minuten-Partien spielte, insgesamt Dutzende.
    Die ersten Schultage nach den großen Ferien verpasste Bobby. Und da seine fünf Kurse sehr anspruchsvoll waren, fiel er bald zurück. Doch statt Tadel gab es von der Schulleitung Lob: Sie verlieh ihm eine Goldmedaille dafür, dass er der jüngste Internationale Großmeister aller Zeiten geworden war. Außerdem brachte die Schulzeitung, der Dutchman , einen Artikel über ihn, wodurch er in der Schule noch mehr zum Star wurde.
    Sechs Tage nach Bobbys Rückkehr veranstaltete der Marshall wie geplant einen Empfang für ihn. Über hundert Mitglieder kamen. Der Clubpräsident, Dr. Edward Lasker, hieß alle Gäste willkommen und begann, Bobbys zahlreiche Erfolge aufzuzählen. Doch der hörte gar nicht zu: Er spielte an einem Seitentisch Blitzschach gegen einige junge Meister, die sich um ihn geschart hatten.
    Bobby beim Blitzen zuzusehen, war an sich schon ein Spektakel, von der Tiefe seines Spiels mal ganz abgesehen. Für ihn war Blitzschach so etwas wie Straßenfußball, man durfte ruhig die Klappe aufreißen. Wenn Bobby beim Blitzen am Brett saß, war er ganz in seinem Element, wie Michael Jordan, wenn er Richtung Basketballkorb abhob. Normalerweise ließ er vor Beginn der Partie die Knöchel knacken und hänselte den Gegner scherzhaft.
    »Was? Du willst gegen mich antreten?«
    Knack! Knirsch!
    »So wird es klingen, wenn ich dich zertrete. Zertrete !«
    [Mit aufgesetztem russischem Akzent:] »Du bist Küchenschabe. Ich bin Elefant. Elefant tritt auf Küchenschabe.«
    Beim Ziehen warf er seine Figuren fast wie Dartpfeile auf ihre Felder. Sie landeten immer in der Mitte des vorgesehenen Feldes. Wenn er seine schlanken, flinken Finger mit elegantem Schwung von einer Figur nahm, wirkte er wie ein Konzertpianist. Machte er einen schwachen Zug, was selten genug vorkam, setzte er sich kerzengerade auf und sog Luft ein, was wie das Zischen einer Schlange klang. Wenn er eine Blitzpartie verlor, was noch seltener geschah, schob er wie angeekelt die Figuren von sich, zur Mitte des Bretts. Seine Nasenflügel bebten dabei, als rieche er etwas Ekliges. Er behauptete, er könne die Stärke eines Spielers da­ran erkennen, wie dieser die Figuren berührte. Schwache Spieler zogen sie ungeschickt und unsicher, starke Spieler selbstbewusst und elegant. Manchmal stand Bobby mitten in einer Fünf-Minuten-Partie auf, während seine Uhr lief, ging zum Getränkeautomaten, kaufte eine Limo und schlenderte zum Brett zurück. Und gewann noch, obwohl er zwei, drei Minuten verschenkt hatte.
    Eine Woche später kam Bobby wieder in den Marshall, um am wöchentlichen Blitzschachturnier teilzunehmen. Er gewann das »Tuesday Night Rapid Transit« (nach dem unterirdischen Schnellbahnsystem der Stadt New York benannt), gleichauf mit Edmar Mednis, der ebenfalls 13 zu 2 Punkte gesammelt hatte. Bobby hatte nur eine einzige Partie verloren: gegen seinen Mentor Jack Collins.
    Die Beziehung zwischen Bobby und Collins war komplex. Bobby stellte für Collins eine Art Alter Ego dar, über das Collins in Regionen des Spitzenschachs vordringen konnte, die ihm selbst verwehrt geblieben waren. Collins brachte Bobby aber auch väterliche Liebe entgegen und war stolz auf all dessen Erfolge. Er behauptete, für ihn sei Bobby wie ein Sohn.
    Bobby sah ihre Beziehung anders. Er betrachtete Collins nicht als Ersatzvater, sondern als Freund, trotz des Altersunterschieds von 30 Jahren. Er betrachtete auch Jacks Schwester Ethel als Freundin und behandelte sie oft herzlicher als ihn. Bobby fühlte sich jedenfalls bei beiden wohl, und einmal, als Regina wieder mal auf lange Reise gehen wollte, schlug sie vor, Bobby solle doch zu den Geschwistern Collins ziehen. Allerdings lebten die in einer Wohnung, die selbst für zwei Leute klein war. Ein Dritter hätte unmöglich noch dazugepasst, und so blieb Reginas Idee Wunschdenken.
    Was Collins nicht wusste: Gelegentlich lästerte Bobby über Collins’ Qualitäten als Schachspieler. Dabei besiegte Collins Bobby gelegentlich im Blitzschach oder in Trainingspartien – in einem offiziellen Turnier trafen sie aber nie aufeinander. Vermutlich ließ Bobby sich in seiner Beurteilung von Collins’ Spielstärke zunehmend von dessen offizieller Wertungszahl beeinflussen. (Umgekehrt ging es vielen Spielern mit Bobby genauso.)
    Damals wie heute fragen Schachspieler beim ersten Treffen bald: »Wie hoch ist deine Wertungszahl?« Auf den Spieler mit dem niedrigeren Wert

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