Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
und Bobby der David, der ihm getrotzt hat, Figur um Figur. »Bronstein? Das Genie des modernen Schachs!« Das schier Unmögliche war eingetreten: Ein 15-Jähriger hatte es geschafft, gegen den vielleicht zweit- oder drittbesten Spieler der Welt remis zu spielen. In ihrer Begeisterung fingen die Mitglieder des Marshall schon an, eine Willkommensfeier für ihren Helden zu planen. Dabei hatte er sich doch noch gar nicht als Kandidat qualifiziert! Im Geiste übten sie schon Trinksprüche. An diesem Tag begann jedenfalls die Legendenbildung um Bobby ernsthaft. Man tauschte Geschichten darüber aus, wie man gegen Bobby gespielt hatte, als der noch ein Kind war. Andere erzählten, wie sie die »Partie des Jahrhunderts« live erlebt hatten. Und wieder andere schwelgten in Erinnerungen, wie sie mit Bobby am Herald Square einen Hotdog gegessen hatten.
Urplötzlich waren die Erwartungen umgeschlagen. Jetzt erträumte man rosige Zeiten, nicht nur für Bobby, sondern auch für das ganze amerikanische Schach. Könnte dieser frühreife Junge aus Brooklyn am Ende das Kandidatenturnier sogar gewinnen ? Würde das amerikanische Schach auf den Schwingen von Bobbys Ruhm zu neuen Höhen getragen? » Bronstein! «
Obwohl erst sechs von 22 Partien gespielt waren, hatte das Turnier in Bobbys Augen seinen Höhepunkt bereits überschritten. Er versuchte sich zwar, weiter zu konzentrieren, fand es aber schwierig. Wenn Bobby sich an den wenigen spielfreien Tagen in der Öffentlichkeit zeigte, wurde er von Fans belagert. Anfangs gefiel ihm diese Aufmerksamkeit, doch bald nervte ihn, dass sie gar nicht mehr aufhörte. Schließlich lernte er, sie zu hassen. Mindestens zweimal verschluckte ihn eine Fantraube, und in beiden Fällen wurde er beim Versuch, sich freizukämpfen, fast hysterisch. Er setzte sich übrigens strenge Regeln: Autogramme gab er nur nach Partien (sofern er nicht verloren oder enttäuschend gespielt hatte), nur etwa fünf Minuten lang und nur anwesenden Schachspielern. Manchmal setzte er sich nach einer Partie ins Auditorium, dann reichten ihm buchstäblich Hunderte Menschen ihre Programmhefte. Missmutig kritzelte er Unterschriften.
Weil die Menge sich während der Partien um seinen Tisch drängte und oft stundenlang gaffte, bat Bobby die Turnierleitung schließlich, das Gebiet um sein Brett abzuriegeln. Er klagte, er könne sich nicht konzentrieren. Wurde er auf der Straße um ein Autogramm gebeten, fragte er, ob der Betreffende Schach spielte. Tat er das nicht, verweigerte Bobby seine Unterschrift und ging davon. Ständig wurde er von Reportern, Fotografen und Autogrammjägern bestürmt, bis es ihm schließlich reichte: Ab Mitte des Turniers weigerte er sich rundweg, für Fotos zu posieren, Autogramme zu geben oder Fragen zu beantworten.
Von der Großtat gegen Bronstein einmal abgesehen, lief das Turnier nicht ganz nach Bobbys Plan. Gegen »kleine Fische« aus Argentinien, Ungarn, der Tschechoslowakei und anderen Ländern verlor er, gegen andere spielte er remis. Doch er zeigte auch große Leistungen: beim Remis gegen den Superstar Tal, gegen Tigran Petrosjan (seinen Spielpartner im Moskauer Schachclub) und gegen Svetozar Gligorić aus Jugoslawien. Brillant war auch sein Sieg gegen den Dänen Larsen. Jahre später bezeichnete Bobby diese Partie als eine seiner besten überhaupt. »Fischer gewann mit erstaunlicher Leichtigkeit«, vermerkte die Chess Review .
Gegen Olafsson erging es Bobby indes schlechter. Er versuchte gar nicht, sich diese Niederlage schönzureden (auch wenn er überzeugt war, dass er hätte gewinnen können). In einem Brief an Collins erklärte er: »Ich hätte nie verlieren dürfen … Ich spielte Schwarz in Lipnitzkys Ding [hier gab er die Züge an]. Wie auch immer, meine Eröffnung war gut, ich ging mit einem Bauern in Führung, doch dann patzte ich, und das Spiel war etwa ausgeglichen. Ich geriet in Zeitnot und machte ein paar schwache Züge hintereinander. Bei Abbruch der Partie hatte er zwei verbundene Freibauern, die nicht mehr zu stoppen waren.«
In seiner letzten Partie des Turniers trat Bobby gegen Gligorić an, einen der stärksten Nicht-Sowjets. Solange Bobby nur nicht verlor, war ihm ein Platz im Kandidatenturnier sicher. Gligorić hatte sich mit starken Leistungen bereits qualifiziert. Er hätte Bobby also ein frühes »Großmeister-Remis« anbieten und sich viel Mühe ersparen können. Stattdessen spielte er auf Sieg, opferte einen Springer, erbeutete dafür aber in den nächsten Zügen
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