Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
gerade einmal ein ausgeglichenes Ergebnis – traf er erstmals auf einen der ganz Großen des Sportes: David Bronstein aus der Sowjetunion.
Bronstein sah aus, wie man sich einen Schachspieler vorstellte: Er hatte eine Glatze und trug Hornbrille, meist schwarze Anzüge und weiße Hemden. Er diente als Vorbild für den Großmeister Kronsteen im James-Bond-Film Liebesgrüße aus Moskau (nur dass Kronsteen Haare hatte), und die im Film gezeigte Partie beruhte auf einer realen, die Bronstein gegen Spasski gespielt hatte. Bronstein wirkte zwar ernst und unnahbar, war aber ein freundlicher, fröhlicher, herzlicher Mensch, der von praktisch allen Kollegen gemocht wurde. Er verfügte über ein immenses Schachwissen und eine gewisse intellektuelle Exzentrik. Sein Spiel war von bedingungslosem Angriff geprägt, er selbst wirkte am Brett oft wie in Trance. Einmal starrte er bei einer Partie volle 50 Minuten das Brett an, bis er seinen nächsten Zug machte. Von der Papierform galten Bronstein und Smyslow, die beide schon gegen Botwinnik um den Weltmeistertitel gekämpft hatten, als die Turnierfavoriten. (Manche rechneten auch Tal noch dazu.) Der Weltmeisterschaftskampf Bronstein–Botwinnik 1951 war unentschieden ausgegangen. Dennoch hatte Botwinnik seinen Titel behalten, denn die Regeln des Weltschachbunds verlangten, dass ein Herausforderer den Titelverteidiger besiegen musste, um selbst Weltmeister zu werden.
Da es im Turniersaal keine Klimaanlage gab, erschienen Fischer und Bronstein in kurzärmligen Hemden. Vor dem Turnier hatte Fischer erklärt, nur ein Spieler hier könnte ihn schlagen: Bronstein. Entsprechend gründlich hatte Bobby sich auf dessen Attacken vorbereitet.
Die Plätze der Spieler am Tisch waren mit kleinen Flaggen markiert. Die amerikanische auf Bobbys Seite, die sowjetische gegenüber. Fischer begann die Partie mit seiner bewährten und gründlich analysierten Spanischen Eröffnung, mit der er sofort die Initiative ergriff und in der Brettmitte Druck machte.
Die Partie war hart umkämpft, und während des langen, vertrackten Endspiels geriet Bobby in Zeitnot. Aus verschiedenen Gründen wollte er unbedingt gegen Bronstein gewinnen: um sich selbst zu beweisen, dass er es konnte; um es anderen zu beweisen, insbesondere den anderen Turnierteilnehmern; um der Welt zu zeigen, dass er zu den ganz Großen gehörte. Doch die Zeit, die Zeit, sie verrann.
Um beim Schach die Spieldauer zu begrenzen, verwendet man bei Turnieren Schachuhren. Die Spieler dürfen ihre vorgegebene Bedenkzeit einteilen, wie sie wollen, und für den einen Zug fünf Sekunden brauchen und für den nächsten eine halbe Stunde. Beim Interzonenturnier lag die Bedenkzeit bei zweieinhalb Stunden für die ersten 40 Züge, danach mussten jeweils innerhalb einer weiteren Stunde 16 Züge erfolgen. Sobald ein Spieler gezogen hatte, drückte er den Knopf auf seiner Seite der Schachuhr, womit er seine Uhr anhielt und die seines Gegners startete. Beide Spieler mussten ihre Züge mitschreiben, um gegebenenfalls beweisen zu können, dass sie im Zeitlimit geblieben waren.
Als Bobby seinen 40. Zug machte, waren nur noch Sekunden auf seiner Uhr übrig geblieben. Hätte er nur ein wenig länger gebraucht, wäre die Uhr abgelaufen, sein Fallblättchen wäre gefallen, und er hätte die Partie verloren gehabt. Nach dem 41. Zug wurde die Partie abgebrochen. An jenem Abend grübelten Bobby und Lombardy ewig über der Endspiel-Stellung. Bobby und Bronstein hatten jeweils noch einen Turm, einen Läufer und die gleiche Anzahl Bauern. In solchen Fällen einigt man sich in den meisten Fällen auf ein Remis, aber die beiden jungen Amerikaner suchten stundenlang nach einer Möglichkeit, doch noch einen Sieg herauszuholen.
Am nächsten Tag fochten Fischer und Bronstein noch 20 Züge lang miteinander. Bronstein verlor einen Bauern, setzte dafür aber Fischers König unter Druck. Es ging nichts mehr voran, und schließlich wurde das Spiel nach der Zugwiederholungsregel für beendet erklärt und als Remis gewertet, nachdem dieselbe Stellung zum dritten Mal erreicht wurde.
Ein Zyniker sagte einmal, das Schwierigste am Erfolg sei, jemanden zu finden, der sich für einen freue. Bei Bobbys Remis gegen Bronstein stimmte der Spruch jedenfalls nicht. Im Marshall, wo man das Interzonenturnier per Liveticker verfolgte, flippten die Mitglieder schier aus, als sie von dem Remis erfuhren. »Bronstein?«, fragten sie ungläubig, fast schon jauchzend. Als wäre der Sowjet ein Goliath
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