Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
spielen. 1965 gab es weder Handy noch Internet, doch Fischer konnte seine Züge per Fernschreiber übermitteln. Die Verantwortlichen in Kuba waren begeistert und boten an, die 10 000 Dollar zu übernehmen, die eine Telefon-Standleitung und der Fernschreiber kosten würden. (Che Guevara, ein starker Schachspieler, war die treibende Kraft hinter diesem Turnier.) Auch die anderen Turnierteilnehmer stimmten dem ungewöhnlichen Arrangement zu, einige allerdings nur widerwillig.
Dann mischte Fidel Castro sich ein und nannte die Teilnahme Bobbys »einen großen Propagandasieg für Kuba«. Das sorgte für Schlagzeilen! Wütend schickte Bobby ein Telegramm an Castro, in dem er mit seiner Absage drohte, sollte der Regierungschef nicht aufhören, Bobbys Teilnahme für linke Propaganda auszuschlachten. Weiter hieß es:
ICH KANN NUR AM TURNIER TEILNEHMEN, WENN ICH UMGEHEND PER TELEGRAMM DIE BESTÄTIGUNG ERHALTE, DASS WEDER SIE NOCH IHRE REGIERUNG JETZT ODER ZUKÜNFTIG VERSUCHEN WERDEN, AUS MEINER TEILNAHME AM TURNIER POLITISCHES KAPITAL ZU SCHLAGEN.
BOBBY FISCHER
Castro antwortete mit dem gewünschten Versprechen, konnte sich aber eine Spitze gegen Bobby nicht verkneifen:
UNSER LAND BRAUCHT KEINE SOLCHEN »PROPAGANDASIEGE«. ES IST IHRE PERSÖNLICHE ANGELEGENHEIT, AN DIESEM TURNIER TEILZUNEHMEN ODER NICHT. DESHALB SIND IHRE WORTE UNGERECHT. WENN SIE ANGST HABEN UND IHRE FRÜHERE ENTSCHEIDUNG BEREUEN, SOLLTEN SIE SICH BESSER EINE ANDERE AUSREDE SUCHEN ODER DEN MUT HABEN, AUFRICHTIG ZU SEIN.
FIDEL CASTRO
Nach Castros Versicherung bestätigte Bobby ohne weitere Scharmützel seine Teilnahme am Turnier. Er wollte Schach spielen, keinen Wirbel veranstalten.
Um sich nicht dem Vorwurf der Mauschelei auszusetzen, spielte Bobby völlig abgeschottet (vom Schiedsrichter natürlich abgesehen). Es muss eine seltsame Erfahrung gewesen sein, ohne jedes Feedback zu spielen, ohne die Möglichkeit, die Körpersprache des anderen zu lesen. Auch mit dem Schiedsrichter wechselte Bobby kein Wort, und nur langsam schwand das Licht des Nachmittags. Gelegentlich schaute Bobby hinaus auf den Garten des Clubs, während er auf Antwort aus Kuba wartete. Dort stand, auf einem Gestell mit Schachgarnituren, eine Büste des französischen Komponisten Philidor, der als bester Schachspieler des 18. Jahrhunderts galt. Nur das Ticken der Schachuhr war zu hören.
Eine typische Vier-Stunden-Partie dauerte wegen der Verzögerungen durch die telegrafische Übermittlung acht bis neun Stunden. Manche Partien zogen sich sogar zwölf Stunden hin. So wurde das Turnier zu einem echten Test für Bobbys Durchhaltevermögen und Kondition. Seine Gegner hatten zwar das gleiche Problem – aber eben nur bei ihrer einen Partie gegen Fischer. Bobby hingegen musste jede einzelne Partie auf diese seltsame, isolierte Art bestreiten. Mitten im Turnier fragte ihn jemand, wie gut er nach eigener Einschätzung abschneiden werde. Bobby antwortete: »Das hängt davon ab, wann mir die Luft ausgeht.«
Bobby gewann seine ersten zwei Partien, baute im weiteren Verlauf des Turniers aber ab. Er verlor wiederholt und spielte gegen mehrere Spieler deutlich unter seinem Niveau remis. Manchmal blitzte seine Brillanz auf, doch er war meilenweit von der Form entfernt, in der er 18 Monate zuvor die US-Meisterschaft beherrscht hatte. Trotzdem schrammte er nur knapp am Sieg vorbei, einen halben Punkt hinter dem sowjetischen Exweltmeister Wassili Smyslow.
Hätte Fischer bei dem Turnier nicht so gut abgeschnitten, wäre seine Geschichte hier vielleicht zu Ende gegangen, im stillen Hinterzimmer eines Schachclubs. Havanna war Bobbys Comeback ins Scheinwerferlicht der Welt, und ein schlechtes Resultat hätte ihn in tiefe Selbstzweifel gestürzt. Zwei Rückschläge in internationalen Turnieren hintereinander, das hätte er wohl kaum ertragen. Zugegeben, für Bobby zählte bei Turnieren nur der erste Platz. Doch angesichts seiner langen Spielpause und der anstrengenden Begleitumstände empfand er seinen zweiten Platz als halbwegs annehmbar.
Öffentlich haderte Bobby zwar mit seiner Leistung, doch das sowjetische Schach-Establishment war höchst beeindruckt, wie Bobby sich unter derart schwierigen Bedingungen geschlagen hatte. Man fürchtete, dass er als Spieler weiter reifen und die Vorherrschaft der Sowjets zerschmettern würde, wenn man nicht schnell etwas unternahm.
Die Sorge wegen Fischer veranlasste das sowjetische Wissenschaftliche Forschungsinstitut für Sport, ein geheimes Labor zu gründen.
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