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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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Es entstand in der Nähe des Moskauer Schachclubs und wurde von Wladimir Alatorzew geleitet, einem sowjetischen Großmeister und Theoretiker. Seine Aufgabe war es, Fischers Spiel und Psyche zu erforschen. Zehn Jahre lang arbeitete Alatorzew mit einer kleinen Gruppe von Schachspielern und Psychologen unermüdlich daran, das »Geheimnis« von Fischers Können zu ergründen. Penibel durchleuchteten sie seinen Stil – bei der Eröffnung, dem Mittelspiel, dem Endspiel – und ließen den sowjetischen Topspielern geheime Berichte über ihre Ergebnisse zukommen. Außerdem versuchten sie zu ergründen, wie Fischer tickte und wie man ihn aus dem Konzept bringen könnte.

    Was Bobby nicht wusste: Hätte er die Einladung zum Piatigorsky-Cup in Santa Monica nicht angenommen, wäre das Turnier abgesagt worden. »Wir müssen Bobby Fischer bekommen«, befahl Gregor Piatigorsky seiner Frau. Einige Jahre zuvor, 1963, hatte Mrs. Piatigorsky sich geweigert, Bobbys Forderungen zu erfüllen, weshalb er nicht mitgespielt hatte. Allerdings wollte sie Bobby auch diesmal keine Sonderbehandlung zukommen lassen. Am Ende löste sie ihr Dilemma, indem sie allen Teilnehmern die gleiche Antrittsprämie zahlte – 2000 Dollar. Damit wahrte sie das Gesicht und sicherte sich dennoch die Teilnahme des größten amerikanischen Schachspielers.
    Der Verlauf des Turniers ist legendär geworden: In der ersten Hälfte stand Bobby neben sich und lag auf dem letzten Platz. Danach fing er sich und stand eine Runde vor Schluss gleichauf mit Spasski auf dem ersten Platz. Zu Turnierbeginn sah Bobby aus wie Abraham Lincoln: ausgezehrt, mit hohlen Wangen und dunklen Augenringen. Er wirkte krank.
    Eine Partie nach der anderen ging verloren oder endete remis. Das Turnier drohte zum schlimmsten Desaster seiner gesamten Schachkarriere zu werden, übler noch als das Debakel in Buenos Aires. Bobby stand an einem existenziellen Abgrund. Wenn er sich nicht bald zusammenriss, würde diese Veranstaltung zu einem schwarzen Fleck auf der Weste seiner Schachkarriere werden. Oder gar zu ihrem Ende. Jeder darf mal ganz unten im Klassement stehen. Nur aufgeben darf man nie.
    Glücklicherweise konnte Bobby das Letzte aus sich herausholen und langsam aufholen. Dank seiner Spielstärke und seiner Hartnäckigkeit konnte er sich wieder aus seinem Loch herausarbeiten. In der zweiten Turnierhälfte machte er dann einen Platz nach dem anderen gut und wurde mit gerade mal einem halben Punkt Rückstand auf Spasski Zweiter. An seiner Reaktion konnte man ablesen, wie sehr er hin- und hergerissen war. Einerseits wurmte es ihn, dass er nicht Erster geworden war. Doch andererseits war er überglücklich über sein Comeback.
    Bei der Abschlusszeremonie posierten Mr. und Mrs. Piatigorsky eingerahmt von Spasski und Bobby für ein Foto. Fischer lächelte dünn und wirkte leicht beschämt, als wolle er sagen: »Eigentlich hätte ich das Turnier gewinnen müssen. Aber diesmal kann ich nicht den Russen die Schuld geben. Es war meine … ganz allein meine.«
    Danach verließen die Spieler Santa Monica und kehrten in ihre Heimat zurück – alle außer Bobby. Der weigerte sich einfach abzureisen. Andere Spieler haben das auch schon gemacht. Als wären sie Schauspieler, die sich nicht von ihrer Rolle lösen können und sich weigern, die Garderobe zu verlassen. Oder als wären sie Schriftsteller, die auch nach Fertigstellung ihres Romans nicht aus ihrer Schreibstube kommen. Vielen fällt es gelegentlich schwer, einen Ort zu verlassen, der einem so viele Stunden, Tage, Wochen oder Monate eine kreative Heimat gewesen ist.
    Drei Wochen später wohnte Bobby noch immer im Miramar, direkt am Ozean, umgeben von Gärten und Palmen. Er schwamm, ging spazieren und erfreute sich am scharfen Geruch der Eukalyptusbäume. Den Rest des Tages – und einen Großteil der Nacht – verbrachte er damit, sämtliche Partien des Turniers nachzuspielen und sich mit den Fehlern zu quälen, die er gemacht hatte. Schließlich steckte ihm jemand, dass die Piatigorskys die Kosten für das Hotelzimmer nicht länger bezahlen würden. Widerwillig flog Bobby also zurück nach Brooklyn.

9. Kapitel Der Kandidat

    I n der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre zeigte Bobby wieder brillantes Schach – und stand sich gelegentlich selbst im Weg. Er gewann das internationale Turnier von Monaco und weigerte sich dann unhöflich, mit Seiner Durchlaucht Fürst Rainier für ein Foto zu posieren. Bei der öffentlichen Übergabe der Siegprämie

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