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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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seine Stellung beurteile. Er antwortete auf Russisch, mit einem Wort: » Nitschija «, Remis.
    Zur Wiederaufnahme der Partie kam Botwinnik in Hemdsärmeln, ein so ungewöhnlicher Anblick, dass die anderen Spieler wussten: Botwinnik war besorgt, aber kampfbereit. Bobby ahnte nicht, dass er gegen die geballte Schachkompetenz von nicht weniger als sieben sowjetischen Großmeistern antrat, nicht nur gegen den Einfallsreichtum seines Kontrahenten. Doch bald nach Wiederaufnahme dämmerte ihm, was Botwinnik vorhatte, und alles Blut wich aus seinem Gesicht. Botwinnik, der nur selten vor Ende einer Partie vom Brett aufstand, freute sich derartig, die Dynamik der Partie umgedreht zu haben, dass es ihn nicht mehr an seinem Platz hielt. Er stand auf, ging zum Kapitän der Sowjetmannschaft, Lew Abramow, hinüber und flüsterte erneut: » Nitschija «. Bobby hatte den Streit, den er 1958 mit Abramow in Moskau hatte – seitdem hatten die beiden nicht mehr miteinander gesprochen –, nicht vergessen und beschwerte sich sofort beim Schiedsrichter. »Schauen Sie«, sagte er, »Botwinnik bekommt Hilfe.«
    Abramow reichte zwar nicht annähernd an Botwinniks Spielstärke heran, war aber immerhin Internationaler Meister und hätte in jenem Augenblick Botwinnik eine Nachricht von den anderen sowjetischen Großmeistern übermitteln können. Das vermutete Bobby zumindest. Doch die US-Mannschaft legte keinen offiziellen Protest bei der Turnierleitung ein; Bobbys eigene Teamkameraden fanden, er habe sich da in etwas hineingesteigert.
    Schließlich sah Bobby ein, dass er hier nicht mehr gewinnen konnte. Er sah Botwinnik an und sprach das dritte Wort, das er je mit ihm gesprochen hatte: »Remis.« Botwinnik streckte ihm einfach die Hand entgegen. Später erinnerte sich Botwinnik, Bobby habe ihm mit bleichem Gesicht die Hand geschüttelt und unter Tränen den Veranstaltungssaal verlassen. Das US-Team beendete das Turnier mit einem enttäuschenden vierten Platz, hauptsächlich aufgrund Bobbys schwacher Ergebnisse. Erstaunlicherweise schickte der 19-Jährige seinem Mannschaftskapitän, Dr. Eliot Hearst, einen Entschuldigungsbrief. Darin schrieb er, er habe unter großem Stress gestanden, der nichts mit der Olympiade oder Schach zu tun gehabt hätte.
    Wieder an Bord der New Amsterdam schrieb Bobby auf dem Rückweg nach New York seinem Freund Bernard Zuckerman, wie er sich angesichts des Remis gegen Botwinnik fühlte. Das Telegramm wurde nach Brooklyn gefunkt. Bobby glaubte, in eine Falle getappt, einem billigen Trick seines Gegners aufgesessen zu sein. Vor der Vertagung der Partie habe Botwinnik so aufgebracht geschienen, als könne er jeden Moment zusammenbrechen.
    In seiner Enttäuschung schrieb Bobby auch, Botwinnik, der hoch angesehene Exweltmeister, sei nie ein großartiger Spieler gewesen, nie der »Erste unter Gleichen«, als den Botwinnik selbst sich einmal beschrieb. Nein, fand Bobby, der Grund für Botwinniks Überlegenheit sei auf dem Feld der Politik zu suchen. So geschickt taktiere Botwinnik »abseits des Schachbretts«, dass er auch sowjetischer Regierungschef hätte werden können.
    Curaçao war ein Wendepunkt für Bobby; danach gelobte er, nie mehr bei Weltmeisterschaftsturnieren anzutreten. Nach dem olympischen Turnier in Warna ging Bobby noch einen Schritt weiter: Zwei Jahre lang trat er überhaupt nicht mehr zu internationalen Turnieren an. Die Sowjets lästerten schon, Bobby habe sich aus »pathologischer« Angst vor der »Hand Moskaus« von der Weltbühne zurückgezogen. Aber daheim in Brooklyn erklärte Bobby, er wolle einfach nichts mehr mit diesen »roten Schwindlern« zu tun haben.

    Über ein Jahr später nahm Bobby am Turnier um die US-Meisterschaft 1963/64 teil. Austragungsort war das schlichte Henry Hudson Hotel in New York. Bobby räumte seine Gegner ab wie Kegel, er gewann eine Partie nach der anderen, nicht ein Kontrahent hatte auch nur die Chance auf ein Remis. Hier bahnte sich etwas Außergewöhnliches an, das merkte auch das Publikum.
    Als Bobby sogar den starken Champion Arthur Bisguier und den alternden Samuel Reshevsky besiegt hatte, wurde das Raunen im Publikum lauter. Würde Bobby den Durchmarsch schaffen? Würde er den Titel gewinnen, ohne auch nur einmal remis gespielt zu haben? Die Nachricht von Bobbys unglaublichem Lauf verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Schachgemeinde, und mit jeder neuen Runde wuchs die Zuschauerschar.
    Die Spannung, wie bei jedem großen Turnier ohnehin schon greifbar, stieg

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