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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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weiter. Bobbys makelloses Timing und scheinbar unfehlbares Spiel lähmten die Kontrahenten, die erst noch gegen Bobby antreten mussten, im Kopf. Er walzte jeden Gegner platt. Zum Jahresende 1963 fehlte Bobby nur noch eine Partie zum Durchmarsch.
    Am Neujahrstag ruhte der Turnierbetrieb, am zweiten Januar ging es weiter. Längst lag Bobby uneinholbar vorne, aber das Ergebnis der letzten Partie war nicht ausgemacht. In ihr traf Bobby auf Anthony Saidy, einen Freund. Saidy war Mitte 20, sechs Jahre älter als Bobby, und damals Arzt beim Friedenscorps, das ihm für das Turnier freigegeben hatte. Er hatte sehr gut gespielt und konnte mit einem Sieg noch auf den zweiten Platz kommen – und als derjenige in die Annalen des Schachs eingehen, der Bobbys Durchmarsch stoppen konnte. Außerdem hatte Saidy den Vorteil, mit Weiß zu spielen.
    Hunderte Zuschauer hatten sich im Hotel versammelt und blickten gespannt auf das Schaubrett. Die meisten hielten insgeheim zu Bobby, teilweise natürlich auch, weil sie auf einen Durchmarsch hofften. Je länger die Partie dauerte, desto unwahrscheinlicher wurde ein Sieg Bobbys. Saidys Stellung war hervorragend, Bobbys eigene prekär. Doch nach zweieinhalb Stunden Spielzeit, als die Partie nach den Regeln des Turniers abgebrochen werden musste, stand noch kein Sieger fest. Saidy war am Zug. Der junge Arzt dachte 40 Minuten lang nach, schrieb seinen Zug auf das Partieformular, versiegelte es in einem Umschlag und reichte ihn dem Turnierleiter. Danach wurde die Begegnung vertagt. Das Publikum verließ den Ballsaal, überzeugt, dass Bobby bei der Fortführung am nächsten Tag maximal ein Remis erreichen würde. Doch es kam anders. Entsetzt erkannte Saidy eine halbe Stunde später, dass er einen Riesenpatzer gemacht hatte. Als der Turnierdirektor am nächsten Tag den Umschlag öffnete und den Zug auf dem Brett ausführte, verstand Bobby sofort. Er sah Saidy an und lächelte leicht. Saidys Fehler eröffnete Fischer die Möglichkeit, ein zwingendes Endspiel aufzuziehen, und eine halbe Stunde nach Wiederaufnahme der Partie musste Saidy aufgeben.
    Bobbys Traumergebnis wurde von den Nachrichtenagenturen verbreitet und weltweit von den Medien verkündet: elf Meisterschaftsspiele, elf Siege. Auf einem derartig hohen Niveau war eine solche Serie eigentlich nicht möglich, egal wie gut ein Spieler nun war. Fischers Lohn für zwei Wochen brillanten Schachs: gerade einmal 2000 Dollar.
    Selbst die Massenmedien berichteten viel breiter als üblich über dieses Ereignis, auch wenn sie nicht recht wussten, ob sie Schach unter Sport oder Kunst einordnen sollten. Life und Saturday Evening Post vereinbarten Interviews mit Bobby. Sports Illustrated titelte mit DER VERBLÜFFENDE SIEGESZUG DES BOBBY FISCHER. Schachpublikationen in aller Welt schwärmten von dieser unerreichten Leistung. Nur Bent Larsen, nie ein Fischer-Fan, zeigte sich unbeeindruckt: »Fischer hat gegen Kinder gespielt.«
    Reshevsky ein Kind? Robert Byrne? Larry Evans? Pal Benko?

    Am 9. März 1964 wurde Bobby Fischer 21. Jetzt drohte ihm, wie so vielen jungen Amerikanern in jenen Kriegszeiten, die Einberufung zum Militärdienst. Im November zuvor war Präsident John F. Kennedy erschossen worden. Sein Nachfolger, Lyndon B. Johnson, hatte den Krieg in Vietnam ausgeweitet. In jener Zeit eingezogen zu werden, bedeutete mit großer Wahrscheinlichkeit, in Südostasien zu dienen.
    Als »verfügbarer« Kandidat musste Bobby zur Musterung. Falls er ausgewählt werden sollte, würde er die nächsten zwei Jahre beim Militär verbringen. Damals war Fischer zwar Patriot, aber Schach war ihm wichtiger. Und die Schachgemeinde zählte auf seine Teilnahme am Interzonenturnier in Amsterdam. Zugegeben, er hatte angekündigt, nie mehr im FIDE-System der Kandidatenkür anzutreten, weil es die Sowjets begünstigte. Doch vielleicht überlegte Bobby es sich noch einmal anders? Die Welt hoffte es, und im Grunde seines Herzens hätte Bobby gern mitgespielt. Doch er sagte, sein Entschluss stehe fest.
    Dennoch begannen einige Leute, Möglichkeiten auszuloten, wie man Bobby vielleicht bis nach dem Interzonenturnier zurückstellen lassen könnte … nur für den Fall, dass er antrat.
    Ein Vertreter des amerikanischen Schachbunds wandte sich in dieser Angelegenheit an General George B. Hershey, den Leiter der Einberufungsstelle. Hershey beschied, »eine vorübergehende Zurückstellung, fast egal aus welchem Grund, lässt sich bei der örtlichen Einberufungskommission leicht

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