Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
erwirken. Irgendwann wird Fischer aber wahrscheinlich eingezogen.«
Einen dauerhafteren – und völlig legalen – Schutz vor Einberufung hätte ein Studium geboten. Nun hatte Bobby zwar die Highschool abgebrochen, doch die New School for Social Research, eine progressive New Yorker Uni, war bereit, Bobbys außerordentliche Schach-Erfolge als akademische Leistung zu werten und ihn aufzunehmen. Alfred Landa, damals stellvertretender Präsident der Universität, versprach Bobby nicht nur einen Studienplatz, sondern auch ein Vollstipendium. Bobby erwog das Angebot lange und ernsthaft. Eines Nachmittags war er schon losgegangen, um sich an der New School einzuschreiben, da hielt er inne. Mit Schulen hatte er schlimme Erfahrungen gemacht, vielleicht schwante ihm Übles. Ohne seine Gründe zu erklären, schlug Bobby das Angebot aus.
Er bekam einen zweiten Termin für die Musterung und ging allein hin. Das Ergebnis wurde öffentlich verkündet: Bobby Fischer wurde ausgemustert. Die Gründe dafür blieben im Dunkeln. Bobby Fischer erhielt die Einstufung 4F, was bedeutete, dass »der Kandidat aufgrund mindestens eines medizinischen Leidens für jeden Dienst im Militär untauglich« ist. Dabei schien Bobby doch körperlich fit. Rätselhaft. Doch Hauptsache, Bobby musste nicht einrücken.
Bobby saß in einem kleinen holzgetäfelten Raum im Marshall-Schachclub. Vor ihm lag ein Schachbrett, neben ihm stand ein Schiedsrichter, sonst gab es nichts. Vor allem keinen Gegner. Bobby wählte einen Zug, schrieb ihn auf ein Partieformular, das der Schiedsrichter einem »Läufer« übergab. Der huschte in einen nahe gelegenen Raum, in dem ein Fernschreiber aufgestellt worden war. Danach wartete Bobby, weiter allein, während der Zug nach Havanna (Kuba) übermittelt wurde, wo sein Kontrahent vor einem identischen Schachbrett saß. Wenn dieser seinen Zug machte, wurde der wiederum von Havanna zum Marshall übertragen, wo der Bediener des Fernschreibers die Antwort dem Läufer übergab, der ihn in den stillen Raum brachte, wo Bobby gespannt wartete.
Es war 1965, und Bobby hatte die Einladung zum Capablanca-Gedächtnisturnier in Havanna angenommen. Genau diese Art Turnier brauchte er zum Wiedereinstieg in den internationalen Wettkampfbetrieb. 13 Großmeister und acht Internationale Meister sollten antreten. Ein enorm starkes Feld – wenn auch nicht derart brillant besetzt wie Bobbys letztes internationales Turnier. Die 3000 Dollar Antrittsprämie gaben schließlich den Ausschlag: Bobby sagte zu.
Aber es gab Komplikationen: Die diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und den USA waren sechs Jahre nach der Revolution und drei Jahre nach der Kubakrise noch immer stark angespannt. Das amerikanische Außenministerium ließ zwar Journalisten nach Kuba reisen, aber keine Normalbürger. Fischer beantragte ein Journalistenvisum; er schrieb regelmäßig für Chess Life und hatte einen Auftrag der Saturday Review , über das Turnier in Havanna zu berichten. Saturday Review und der amerikanische Schachbund sandten Brief ans Außenministerium, in denen sie Bobbys Antrag unterstützten. Zweifellos wollte Bobby in erster Linie nach Kuba, um am Turnier teilzunehmen, er plante aber tatsächlich, auch darüber zu berichten. Trotzdem schmetterte das Außenministerium den Antrag rundweg ab. Die Bürokraten erkannten Bobby nicht als Journalisten an und verweigerten ihm eine Ausreise nach Kuba.
Was niemand wusste: Das FBI schnüffelte Bobby schon seit Jahren hinterher. Wahrscheinlich, weil man Regina für eine Kommunistin hielt. Als Bobby 1958 15-jährig nach Moskau reiste, glaubte das FBI, Regina hätte ihn dort zur Indoktrination hingeschickt.
Das FBI konnte sich offenkundig nicht vorstellen, dass jemand so weit (und in ein politisch verdächtiges Land!) reisen würde, nur um Schach zu spielen. Eine Notiz in Bobbys FBI-Akte vermerkt, dass sein Pass nicht gültig sei für Reisen nach Albanien, Kuba, Rotchina, Nordkorea und den von Kommunisten beherrschten Teil Vietnams. Ein Memorandum aus dem Büro des Koordinators kubanischer Angelegenheiten von 1965 legt fest: »Die Teilnahme an Schachwettbewerben gehört nicht zu den legitimen Reisegründen nach Kuba.«
Vom FBI verfolgt oder nicht, Bobby war wild entschlossen, an dem Turnier teilzunehmen. Und das gelang ihm auch, mit der Hilfe des amerikanischen Schachbunds. Der schlug eine höchst unkonventionelle Lösung vor: Bobby würde in New York bleiben und das Turnier von einem Raum des Marshall aus
Weitere Kostenlose Bücher