Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi
die Männer ganz verrückt! Dieser riesige, unförmige Felsbrocken, der am Zerfallen ist. Sie war mit Pierre einmal in Zermatt zum Fuss des Horns gewandert, und sie konnten von weitem den ständig niedergehenden Steinschlag sehen und hören. Der Berg kracht und ächzt unaufhörlich – nein, eine Besteigung hält sie für völlig unmöglich. Doch es will diesen Draufgängern nicht aus dem Kopf gehen. Solange der Berg dasteht, wird es welche geben, die sich dort den Hals brechen wollen. Amalia dankt dem Herrn, dass ihr Pierre von dieser Krankheit verschont geblieben ist.
«Ja, ja», antwortet der Signore, «aber es gibt eben einen in Zermatt, der ist sehr gut. Den wollen alle. Hat keine Angst, macht jede Tour mit. Kräftig wie ein Bär. Trägt Ware für zwei. Und zuverlässig, zuverlässig.»
«Und der ist heuer mit James McGregor gegangen?», erkundigt sich Sir Butterworth.
«Ich habe gehört, dass Zenger ihn zuerst reserviert hatte. Zenger wollte Anfang Juli endgültig hinauf. Aber als er dann in Zermatt ankam, war dieser guida , der Biner, weg. Sparito . Verschwunden »
«Für wie realistisch halten Sie denn eine Erstbesteigung von Zermatt aus, Peffirelli?» Sir Butterworth scheint zwischendurch mindestens ebenso interessiert zu sein an dieser Matterhorngeschichte wie an der Aufklärung des Falles McGregor.
« Scusi , Sir Butterworth, da habe ich eine ganz klare opinione , eine Meinung. Unter uns gesagt, ich wäre natürlich sowieso nicht dafür, dass einer von euch Engländern, mit Verlaub», und er nickt entschuldigend lächelnd zu Sir Butterworth hinüber, «diese Erstbesteigung machen kann. Der Berg gehört uns, entweder den Svizzeri oder den Italiani . Und, wie ich sagte, die Svizzeri haben nur Bergführer, keine echten Bergsteiger. Die verkaufen sich an die Ausländer. Also gehört die Trophäe den Italiani . Ich habe immer gesagt, ein Italiano wird den Cervino holen! Und zwar von Breuil aus, so wahr ich hier stehe!»
«Haben Sie sonst noch etwas zu berichten? Oder haben Sie etwas gesehen in den letzten Tagen, besonders gestern Abend?», erkundigt sich Butterworth, sein Interesse an Peffirellis Aussagen ist etwas erlahmt, und er versucht die Befragung zu beenden.
Der Signore schüttelt den Kopf, das ist alles. Kamil, der eine Weile ruhig war, blinzelt mit schwer interpretierbarer Miene zum Signore hinüber. Er holt sein grosses, grobstoffiges, blau umrandetes Taschentuch hervor, sucht sich eine trockene Stelle darin und schneuzt laut vernehmbar hinein. Er wischt Gesicht und Bart damit ab, rollt es erneut zu einem Klumpen zusammen und lässt es wieder in der hinteren Hosentasche verschwinden. Signor Peffirelli und Sir Butterworth wenden beide ihren Blick ab. Kamil räuspert sich vernehmlich und fragt:
«Und wie geht es jetzt weiter?»
Amalia hat einen Vorschlag: »Machen wir eine kurze Pause. Das wird allen guttun. Etwas frische Luft und ein kleiner Imbiss.» Kamil ist sichtlich erfreut über diese Idee, erhebt sich flink und macht sich auf den Weg in die Küche.
Der Signore empfiehlt sich, und Sir Butterworth packt ebenfalls seinen Hut. Bevor er das Zimmer verlässt, dreht er sich noch einmal um und sagt nachdenklich:
»Übrigens, Madam Amalia, ich wollte es Ihnen zuerst eigentlich nicht sagen, aber ich glaube, ich habe eines Ihrer Mädchen mit Duncan Farthing gesehen. Sie wissen, wie ich meine. Hinter dem Hotel.»
Er zögert, räuspert sich kurz und schaut Amalia prüfend an.
«Welche war es denn, Sir Butterworth?», fragt Amalia interessiert, aber peinlich berührt.
«Das konnte ich leider nicht feststellen, es war dunkel, und ich habe sie nur von hinten gesehen. Duncan war es bestimmt, ich kenne seine Anzüge, immer etwas speziell. Aber Ihre Angestellten tragen ja alle die gleichen schwarzen Röcke, ich konnte beim besten Willen nicht erkennen…»
7. Was weiss Lady Penelope?
Amalia geht hinauf in ihre Kammer. Sie möchte sich ein wenig ausruhen und nachdenken. Sie setzt sich auf den mit dunkelrotem Samt überzogenen Sessel neben der schwarzen Kommode. Obwohl sie nur ein paar Schritte gemacht hat, muss sie nach Atem ringen. Nicht schon wieder, murmelt sie halblaut vor sich hin. Pierre hat Recht. Ich sollte mich einmal von Doctor Zenhäusern untersuchen lassen.
Sie legt eine Hand an die Brust und lehnt sich zurück. Mit der anderen probiert sie, ein paar Haken und Ösen an ihrem Rücken zu öffnen. Doch jede Bewegung gibt ihr einen Stich. Wilde Gedanken kreisen in ihrem Kopf.
Besser still
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